Arzt Karl Stoevesandt fördert die Bekennende Kirche in Bremen

Dr. Karl Stoevesandt (privat)
Karl&Dorothee Stoevesandt, Kohlhökerstraße
Stoevesandt Broschüre, 1936
24. Januar 1934
Kohlhökerstr. 56, Bremen

Der Bremer Arzt Dr. Karl Stoevesandt (1882 – 1977) ist ein Beispiel dafür, wie sich auch in konservativen Kreisen Widersetzlichkeit gegen den Nationalsozialismus regte. Nach Studienjahren in Tübingen, Berlin und Leipzig hatte er sich 1913 als praktischer Arzt in seiner Heimatstadt niedergelassen. Er war zwar ein Befürworter eines starken, autoritär geführten Staates, wurde jedoch sehr bald zum Gegner des Nationalsozialismus. 1933 wurde er Mitglied im Leitungsgremium der alten Innenstadtgemeinde Unser Lieben Frauen – in Bremen Bauherren genannt – und geriet mitten in die Auseinandersetzungen der Gemeinde mit den NS-Organen und dem deutsch-christlichen Landesbischof Heinrich Weidemann (1895 – 1976). Dieser hatte Schritt für Schritt und mit Unterstützung der Politik die Bremische Evangelische Kirche unter seine deutsch-christliche Herrschaft gezwungen. Auf der Synode – in Bremen Kirchentag genannt – am 24. Januar 1934 löste der Präsident der Bremischen Evangelischen Kirche Otto Heider ( 1896 – 1960) dieses Kirchen-Parlament schließlich auf und ernannte den DC-Kreisleiter Weidemann zum Landesbischof.

Karl Stoevesandt und die gesamte bürgerliche Gemeinde Unser Lieben Frauen lehnten jedoch „jedes Organisieren von außen nach innen sowie jede Vermengung von Politik und Religion“ kategorisch ab. Als theologisch interessierte und versierte Laien hatten er und seine Frau Dorothee Köster (1886 1973) schon 1922 die Bekanntschaft mit Karl Barth (1886 – 1968) und seinen Schriften gemacht – eine Verbindung, die lebenslang halten sollte, die in zahlreichen Briefen dokumentiert und in dem Band „Als Laien die Führung der Bekenntnisgemeinde übernehmen“ 2007 veröffentlicht worden ist. Barths Schriften und Anregungen waren für das Ehepaar Hilfestellungen im Kampf gegen die Anmaßungen Weidemanns und der nationalsozialistischen Obrigkeit. Andererseits war Stoevesandt bemüht, die Gemeinde zusammenzuhalten, ausgleichend zu wirken, um eine Spaltung zu verhindern – eine Gratwanderung, über die er in seinen Erinnerungen mit dem Titel „Bekennende Gemeinden und deutschgläubige Bischofsdiktatur“ 1960 Rechenschaft ablegte.

Als der einzige Bremer Teilnehmer an der Bekenntnissynode von Wuppertal-Barmen, der St. Stephani-Pastor Gustav Greiffenhagen (1902 – 1968), im Gemeindehaus von Unser Lieben Frauen über die neue Bewegung Bericht erstatten wollte, wurde diese Versammlung verboten. Man wich ins Wohnhaus der Familie Stoevesandt aus. Rund 200 Menschen saßen und standen nach Augenzeugenberichten in Zimmern, Fluren und auf Treppen und hörten gebannt Greiffenhagens Bericht.

Dieser 4. Juni 1934 gilt als Gründungsdatum der Bremer Bekenntnisgemeinschaft. Karl Stoevesandt wurde Vorsitzender des Landesbruderrats sowie Mitglied des Reichsbruderrats und der Synode der Bekennenden Kirche. 1938 wurde er in seiner Gemeinde Verwaltender Bauherr, was mit vergrößertem Entscheidungsspielraum verbunden war, den er nutzte, um seinen vermittelnden Kurs zwischen der Gesamtgemeinde und der in ihr agierenden Bekenntnisgemeinschaft fortzusetzen – was ihm Kritik der auf Konfrontationskurs zu NS-Organen ausgerichteten St. Stephani-Gemeinde Süd eintrug. Zweimal wurde er von der Gestapo verhaftet, jedoch bald wieder frei gelassen.

Die gemeinsamen Veranstaltungen und Informationsabende des Landesbruderrats fanden – von Gestapospitzeln überwacht – in Unser Lieben Frauen statt. Vielleicht wurde Stoevesandt deshalb von der Gestapo für besonders gefährlich gehalten. Dabei ging es ihm vor allem um Theologie und um eine von allen Bekenntnisgruppen getragene Interpretation der Barmer Erklärung von 1934.

Auch als Arzt geriet Stoevesandt in Schwierigkeiten: Er weigerte sich, dem NS-Ärztebund beizutreten und dessen Schulungsbrief zu abonnieren, lehnte die Sterilisierungsgesetze ab und hielt weiter Kontakt zu jüdischen Kollegen. 1937 erhielt er Rede- und Aufenthaltsverbot in Hamburg und Schleswig-Holstein. Die ständigen Reibereien mit Weidemann und den NS-Behörden, die Arbeit in den Bruderräten und da¬neben in seinem Beruf als Arzt forderten alle seine Kraft.

Als der 1934 handstreichartig zum Landesbischof ernannte Dom-Pastor Heinrich Weidemann (1895 – 1976) mit immer neuen Verordnungen und Verfügungen die Selbstständigkeit der Gemeinden zunehmend außer Kraft setzte, beschwerten sich schließlich zahlreiche Gemeinden beim Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887 – 1941). Unser Lieben Frauen ließ dem noch eine ausführliche Beschreibung der kirchlichen Zustände in Bremen folgen – ohne dass sich etwas änderte.

Kerrl hatte inzwischen wohl die pathologischen Züge im Wesen des selbstherrlichen Bischofs erkannt, hatte aber keine Handhabe gegen ihn. Weidemann setzte Stoevesandt und zwei weitere Bauherren von Unser Lieben Frauen ab – was die Gemeinde ignorierte. Daraufhin erhielt sie kein Geld mehr aus der Zentralkasse der Bremischen Evangelischen Kirche. Als im Juni 1942 auch die Finanzbevollmächtigten der Gemeinde abgesetzt werden sollten, verweigerten diese allen Drohungen zum Trotz die Herausgabe der Unterlagen.

Nicht nur in diesem Nervenkrieg benötigten die Gemeinde und Karl Stoevesandt all ihre Kraft, sondern auch im realen, immer näher rückenden Krieg der Bomben. Das Privathaus des Arztes wurde zu einem Zufluchtsort für in Not geratene Menschen. Drei Söhne hat das Ehepaar Stoevesandt in diesem Krieg verloren.

Die sich ständig verschlimmernden Umstände forderten die Aufmerksamkeit aller, so dass die Reglementierung der Kirchengemeinden – die nach Kräften Hilfe für Leib und Seele organisierten – nicht mehr wichtig erschien. Die Unerschrockenheit und Beharrlichkeit der Gemeinde Unser Lieben Frauen und ihres Verwaltenden Bauherrn Stoevesandt hatten die totale Unterwerfung verhindert.

Nach 1945 engagierte sich Karl Stoevesandt neben der Arbeit für die Gemeinde Unser Lieben Frauen auch in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er setzte sich für den Beitritt der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) in die EKD ein, obwohl viele Synodale der Meinung waren, die BEK sei keine richtige Kirche: ohne Bischof, ohne ein für alle verbindliches Bekenntnis. Er hoffte auf eine Erneuerung der evangelischen Kirche und lehnte die Aufrüstung der Bundesrepublik ab. Mit Günter Besch (1904 – 1999) und Karl Kampffmeyer (1909 – 1997) holte er zwei Wegbegleiter aus der Bekennenden Kirche nach Bremen in seine Gemeinde. Günter Besch war von 1959 bis 1970 Schriftführer und damit theologischer Repräsentant der BEK.

Für sein Wirken als Arzt mit speziellem Engagement in der Tuberkulose-Bekämpfung wurde Stoevesandt vom Deutschen Ärztetag mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet.

(Quellen: Almuth Meyer-Zollitsch „Nationalsozialismus und evangelische Kirche in Bremen“, Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 1985; Karl Steovesandt „Bekennende Gemeinden und deutschgläubige Bischofsdiktatur“, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1961 sowie Briefwechsel zwischen dem Ehepaar Stoevesandt und Karl Barth in „Als Laien die Führung der Bekenntnisgemeinde übernehmen“, Hrsg. Stefan Holtmann und Peter Zocher, Neukirchener Verlag 2007; Dietmar von Reeken Hrsg. „Unser Lieben Frauen“, Edition Temmen, Bremen 2002; Bremer Biografien)

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

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