Die „Dienststelle für Zigeunerfragen“– Zentrale der Verfolgung in Nordwestdeutschland

Aktuelles Bild vom ehem. Polizeihaus, jetzt Stadtbibliothek (Sammlung Karl Schneider)
Aktuelles Bild vom ehem. Polizeihaus, jetzt Stadtbibliothek (Sammlung Karl Schneider)
Wilhelm-Mündtrath_Staatsarchiv-Bremen
Carl Krämer (Staatsarchiv Bremen)
Carl Krämer
8. Dezember 1938
Am Wall 201, Bremen-Mitte

Im Polizeihaus am Wall 201 war nicht nur die Führung der Bereitschaftspolizei untergebracht, sondern auch die Kriminalpolizei (Kripo). Sie stand unter der Leitung von Franz Hahn.

Auf Reichsebene musste per Runderlass vom 8. Dezember 1938 bei jeder Kriminalpolizeileitstelle eine „Dienststelle für Zigeunerfragen“ eingerichtet werden. Wahrscheinlich griff die Dienststelle zu diesem Zeitpunkt bereits auf länger existierende Akten, die sog. „Zigeuner-Registratur“ der Bremer Polizeibehörden zurück.
Aufgaben dieser neuen Dienststelle waren u.a.:

  • die zentrale Erfassung aller Sinti und Roma,
  • die Organisation der Deportationen vom Mai 1940 (Schützenhof) und März 1943 (Schlachthof),
  • die Zwangssterilisationen von Sinti und Roma 1944,
  • allgemeine Überwachung der den Sinti und Roma gemachten Auflagen, wie etwa die Verbote, die Stadt zu verlassen  oder das Verbot des „Umgangs mit Ariern“.

Die Dienststelle gehörte zur Inspektion III, war zuständig für den nordwestdeutschen Raum und unterstand dem Kriminaldirektor Carl Krämer, der gleichzeitig stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei war. Die Dienststelle wurde verschiedentlich als „Zigeunerdezernat“ bezeichnet und stand zunächst unter der Leitung von Franz Gails. Er war es, der im Wesentlichen die erste Deportation der Sinti und Roma am 16. Mai 1940, vornehmlich aus Bremerhaven, organisierte.

Nachdem für kurze Zeit zuerst Wilhelm Herzmann die Leitung von Gails übernommen hatte, wurde dieser im Sommer 1941 von dem Kriminalsekretär Wilhelm Mündtrath nachgefolgt. Letztgenannter war dann u.a. zuständig für die zweite Deportation am 8. März 1943.

Keiner der Leiter der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ wurde nach 1945 in der Entnazifizierung und justiziell für ihre Mitwirkung am Genozid an den Sinti und Roma zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil gelangten alle wieder in den regulären Dienst zurück.

Autor: Dr. Hans Hesse

Literatur:
Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 32–38
Hesse, Hans, … wir sehen uns in Bremerhaven wieder … Die Deportation der Sinti und Roma am 16./20. Mai 1940 aus Nordwestdeutschland, Bremerhaven 2021, S. 37–41.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 28. April 2023

Kommentieren Sie den Beitrag

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Zeitauswahl
  • 1933
  • 35
  • 37
  • 39
  • 41
  • 43
  • 1945
Themen
  • Arbeitslager
  • Ereignis
  • Jugend
  • Nazi-Organisation
  • Person
  • Verfolgung
  • Widerstand
  • Alle Kategorien aktivieren
Stadtteil