François de Beaulieu: wg. Wehrkraftzersetzung zum Strafbataillon verurteilt

Beaulieu, 1939 (privat)
Beaulieu als Funker (privat)
De Beaulieu, Parkstr. 7
16. April 1943
Parkallee 7, Bremen

Franz Adolf Herbert Chales de Beaulieu (1913 – 2007) war evangelischer Pfarrer der deutschen Gemeinde in Frankreich. Er entstammte französischem hugenottischem Adel. Einen Zweig seiner in alle Welt verstreuten Familie hatte es 1541 nach Bremen verschlagen, wo er am 12. Februar 1913 geboren wurde. Sein Großvater mütterlicherseits war Senator Dr. Jasper Oelrichs (1844-1923) und die Großmutter Henriette geb. v. Gröning (1851-1933), beide aus Senatorenfamilien Bremens stammend.
Er litt unter dem frühen Tod seines Vaters im Ersten Weltkrieg und wuchs in einem Haushalt ohne Mann auf – ein Umstand, der ihn sehr viel später vor der Todesstrafe wegen Wehrkraftzersetzung bewahren sollte. Als er Nachrichten und Texte gegen das nationalsozialistische Regime verbreitete, wurde er entdeckt, von seinem Anwalt aber so geschickt als vaterloser Weichling dargestellt, dass er zum Fronteinsatz in einem Strafbataillon verurteilt wurde und mit dem Leben davonkam.

Ursprünglich sollte François de Beaulieu Kaufmann werden. Er begann eine Ausbildung bei der angesehenen Im- und Exportfirma Melchers in Bremen, die ihn im April 1933 in ihre Londoner Vertretung schickte. In der britischen Metropole begegnete der junge Francois dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945), der dort ab Oktober 1933 die kleine deutsche evangelische Gemeinde betreute. Der sieben Jahre ältere entschiedene Nazigegner machte großen Eindruck auf den jungen Auszubildenden. Beaulieu fand Anschluss an friedensbewegte Kreise wie die „Moralische Aufrüstung“, die Initiative „No more war“ und der „War resisters League“.

Nach seinem Diplom an der Londoner Handelskammer ging de Beaulieu 1934 nach Paris, wo ihm bald klar wurde, dass der Kaufmannsberuf nicht seine Sache war. Er lernte die dortige Heilsarmee kennen und entschied sich aus Überzeugung für ein Theologiestudium. Im Sinne Dietrich Bonhoeffers sah er die Kirche als die Institution, die nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad in die Speichen zu fallen habe.

Er studierte in Marburg, Tübingen und Berlin. Nach dem Abschlussexamen 1939 vertiefte er seine theologische Ausbildung in Rüstzeiten und Vortragsveranstaltungen. Dabei begegnete er erneut Dietrich Bonhoeffer und lernte die ebenfalls in der Bekennenden Kirche engagierte Familie von Thadden-Trieglaff kennen. Am 1. September 1939 sollte er sein Vikariat in einer Berliner Gemeinde antreten. Doch schon am 1. Juni wurde er zur Wehrmacht eingezogen mit der Begründung, es handele sich um eine Übung. De Beaulieu landete zunächst bei einer Einheit schwerer Artillerie, in der er als Funker arbeitete. Er überzeugte durch Können, beherrschte Französisch und English und wurde deshalb im Januar 1940 zur Spionageabteilung „Fremde Heere West“ der Abwehr und General Wilhelm Canaris (1887 – 1945) nach Zossen bei Berlin beordert.

Hier erhielt er Einblick in geheime Vorgänge bei der Abwehr, in die Kriegspläne Hitlers und hörte gleichzeitig Stimmen dazu aus dem Ausland. Von nun an führte de Beaulieu ein Doppelleben: Die Woche über trat er liebenswürdig, leistungsfähig, flink auf und gewann so das Vertrauen seiner Vorgesetzten, schreibt der Sohn Francois in der Biografie über seinen Vater. An jedem zweiten Wochenende und auch an Wochentagen verließ er unter einem Vorwand die Kaserne und schmuggelte dabei Reden und Texte nach draußen, die die Wirklichkeit des Kriegsgeschehens und der Situation im Inland belegten. Dabei nutzte er seine Freundschaft zu den Quäkern, von denen er hoffte, dass sie die Nachrichten weiterverbreiten würden: „Wie viele Hitlergegner setzte mein Vater seine Hoffnungen nur noch auf die Tat Einzelner, schreibt der Sohn. Tiefe Bewunderung empfand er für den Tischlermeister Georg Elser, dem es als Einzelgänger gelungen war, am 8. November1939 eine für Hitler bestimmte Bombe in einer Münchner Bierhalle zu platzieren, und der sein Ziel nur knapp verfehlte.“

Am 11. Februar 1943 verließ Francois de Beaulieu erneut die Kaserne mit Papieren gegen den Krieg und die nationalsozialistische Führung – und zum ersten Mal seit drei Jahren wurde er durchsucht und sofort festgenommen. Am 16. April 1943 wurde er wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zur Arbeit in einem Strafbataillon verurteilt. Er wurde im Gefängnis Torgau-Zinna eingesperrt, musste später Panzergräben ausheben. Doch dank der geschickten Argumentation seines Anwalts blieb er am Leben. 1944 verschlug es ihn – abermals als Funker – mit der 113. Division an die Ostfront, später, im Dezember 1944, in die Ardennenoffensive im Westen und in den letzten Kriegstagen nach Wien. Er geriet in amerikanische Gefangenschaft und konnte schließlich aus einem langsam fahren Zug in die Freiheit springen. Seine Verurteilung wegen Wehrkraftzersetzung, derentwegen er in der Bremischen Evangelischen Kirche auch nach 1945 nicht Pastor werden durfte, wurde erst 1996 vom Leitenden Oberstaatsanwalt der Hansestadt aufgehoben.

(Quelle: „Mein Vater, Hitler und ich“ von François de Beaulieu , erschienen 2013 in der Reihe „Geschichte & Frieden“ im Donat Verlag Bremen)

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

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