Hemelinger Pastor Röbbelen in Schutzhaft genommen

Hemelingen Kirche_2018
Pastor Ernst Röbbelen
29. März 1936
Westerholzstr. 12, Hemelingen-Bremen

Sie haben protestiert, die Flagge nicht aus dem Fenster gehängt, Kontakt zu Juden gehalten, ihre Kinder nicht zum „Dienst“ geschickt, haben die Mitgliedschaft im Lehrer- und Ärztebund oder in der Frauenschaft verweigert – schon die kleinste solcher Widerständig­keiten oder ein Witz  über den „Führer“ konnte Gefängnis und den Verlust der Existenz nach sich ziehen. In der NS-Zeit eine eigene Meinung zu äußern war gefährlich. Viele haben es trotzdem getan, weil sie nicht anders konnten. Es waren einzelne mutige Bürger, Kommunisten, Sozialisten, Studierende, Soldaten, Kirchenleute.

Einer von ihnen war Pastor Ernst Röbbelen (1892-1977). Der aus Celle gebürtige Theologe war von 1922 bis 1931 Seemannspastor in Bremerhaven und Bremen und danach bis 1937 Pastor in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Hemelingen, die zu der Zeit noch zu Niedersachsen und damit zur hannoverschen Landeskirche gehörte. Der junge Pastor kam in einen Ort mit bodenständigen Bauern, der sich im Lauf der Jahre durch die Ansiedlung von Industrien samt den dazugehörigen  Arbeiterfamilien vergrößerte und gesellschaftlich veränderte. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 begann die zunächst schleichende Veränderung. Es war die nationalsozialistische neue Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, die Ernst Röbbelen misstrauisch machte. Und so protestierte er bei der Reichstagswahl 1936 auf seine Art, wurde verhaftet und versetzt. Mit betroffen war seine Familie, die mit ihm Bedrohungen ausgesetzt war und mehrfach den Wohnort wechseln musste.

So übte zum Beispiel die nationalsozialisti­sche Feuerwehr am Sonntagmorgen zur Zeit des Gottesdienstes direkt vor der Kirche, sperrte die Straße ab und hinderte so die Gläubigen am Besuch der Kirche. Ernst Röbbelen beschreibt die Situation in seinen Aufzeichnungen: „Als ich Feuerwehrleute, die mit dem Fahrzeug unmittelbar bei der Kirche hielten, auf das Unpassende der Übung aufmerksam machte und damit protestierte, wurden meine Worte, gehässig verdreht, dem SA-Führer und Bürgermeister Passe überbracht. Eines kam zum anderen und ich fühlte den Boden unter mir unsicher werden.“

Das Motto der Reichstagswahl 1936 lautete „Gleichberechti­gung und Frieden“. „Dafür war ich auch“, schreibt Ernst Röbbelen, „für Gleichberech­tigung und Anerkennung des deutschen Volkes innerhalb der europäischen Völker und für eine friedliche Entwicklung der Dinge.“ Mit der Wahl sollte aber gleichzeitig dem „Führer“ und seinen Vasallen das Vertrauen ausgespro­chen werden. Das wollte Ernst Röbbelen nicht. Da Nichtwählen zum Landesverrat erklärt worden war, ging er zur Wahl und gab seine Stimme ab – allerdings unter Protest. Er beschreibt den Vorgang so: „So wählte ich einen Ausweg und schrieb auf den Wahlzettel  ‚Ich trete durchaus ein für eine Politik des Friedens und der Gleichberechtigung und trete hinter den Führer als der gesetzten Obrigkeit, aber ich kann nicht meine Stimme Schirach und nicht Rosenberg geben als den Kündern einer neuen Weltanschauung. Ich überlasse es deshalb dem Wahlvorstand, ob er meine Stimme werten will.’ Darunter setzte ich meinen Namen und war von Herzen froh und erleichtert, diesen Weg gefunden zu haben.“

Baldur von Schirach war zu der Zeit Reichsjugendführer, Alfred Rosenberg Autor eines Buches mit dem Titel „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, das 1930 erschienen war und mit dem der NSDAP-Reichsleiter zum Chefideologen der Nationalsozialisten avancierte. Ernst Röbbelen hatte dieses Buch sehr genau gelesen und urteilte: „Es fehlte auch der leiseste Ansatz zu einer ehrfurchtsvollen, geschweige denn religiösen Haltung. Ich war erschrocken zu erfahren, dass Hitler seit etwa 1920 mit Rosenberg liiert war, und entsetzt, als Letzterer zum weltanschauli­chen Leiter der Partei ernannt wurde.“

Doch der scheinbare Ausweg bei der Wahl hatte üble Folgen für Röbbelen. Wie üblich ergab die Stimmenauszählung 99 Prozent Zustimmung. Aber: „Gerade als der Zettel mit meiner Erklärung aus dem Wahlum­schlag genommen wurde, erschien SA-Führer und Bürgermeister Passe, nahm ihn an sich und bestellte einen Trupp SA-Leute, zur Vorsicht nicht aus meinem, sondern aus dem anderen Pfarrbezirk. Diese mussten das empörte Hemelinger Volk darstellen… Gegen 11 Uhr abends erschien der Trupp vor unserem Pfarrhause und schrie: ‚Röbbelen ist ein Landesverräter. Schlagt ihn tot.’ Zwei Polizisten, schon vorher von dem beabsichtigten Tumult unterrichtet, erschienen an der Haustür und nahmen mich in Schutzhaft.“

Der Pastor wurde nach Verden ins Gefängnis gebracht, am nächsten Morgen aber wieder entlassen. Dass er so schnell wieder frei kam, hatte er dem hannoverschen Bischof August Marahrens 1875-1950) und dem Verdener Superintendenten Heinrich Adalbert Garrelts (1878-1941) zu verdanken. Der Bischof hatte gegenüber der Polizei gegen die Festnahme protestiert mit der Begründung: „Ich behalte mir das Recht vor, meine Pastoren selbst zu bestrafen!“ Garrelts holte ihn persönlich aus dem Gefängnis ab.

Es war Röbbelen jedoch verboten, sich im Bezirk der Gemeinde Hemelingen noch einmal blicken zu lassen. Er konnte bei seinen Eltern in Pforzheim unterschlüpfen und fand von dort aus in den Betheler Anstalten eine Stelle als Urlaubsvertretung. Danach ging es nach Amrum, nach Jherings-Boekzetelerfehn, nach Langenholzen bei Alfeld/Leine und – womit er nicht gerechnet hatte – im April 1955 wieder in die Gemeinde  Hemelingen, die seit der Gebietsreform von 1939 zur Bremischen Evangelischen Kirche gehört. Dort trat er im September 1962 in den Ruhestand. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Celle und von 1973 an in Göttingen, wo er 1977 starb.

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

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