Horst Hackenbroich: seine Liebe bringt ihn ins KZ Buchenwald

Horst Hackenbroich, Lagerkartei Buchenwald
Erkennungsdienst des KZ Buchenwald, 12. August 1943, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald
Horst Hackenbroich
Horst Hackenbroich
5. Juni 1943
Steffensweg 184, Bremen-Walle

Horst Hackenbroich wurde am 2. Juni 1914 in Bremen geboren. Sein katholischer Vater Adolf und seine jüdische Mutter Gertrud (geb. Lesser) betrieben seit 1918 ein Fischgeschäft im Steffensweg 184. Horst Hackenbroich besuchte die Realschule und absolvierte 1931 die Ausbildung zum Kaufmannsgehilfen in einem Manufakturwarengeschäft.

Im Spätsommer 1932 beobachtete er eine unerlaubte Demonstration der KPD in Walle. Obwohl er sich nur am Rande des Geschehens aufhielt, wurde der 18-jährige verhaftet, in der Ostertorwache verhört und kam für mehr als zwei Tage in eine Gefängniszelle. Unter Mühen gelang es seinem Vater, dass er dem Haftrichter vorgeführt und freigelassen wurde, mit dem Hinweis, wenn er „dem Stahlhelm angehören würde, wäre er schon lange frei“.

Als registrierter Arbeitsloser wurde er 1933/34 zum „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD) herangezogen, das größte der öffentlich geförderten Beschäftigungsprogramme der Weimarer Republik, in dem junge Arbeitslose Tätigkeiten nachgingen, die der Allgemeinheit dienten. Horst Hackenbroich wurde unter anderem zur Straßensicherung anlässlich des Hitler-Besuchs in Bremen am 14. Dezember 1934 eingesetzt. Er beobachtete, dass Passanten nicht stehen blieben um Hitler zu sehen, sondern eilig weitergingen.

Im Sommer 1935 hatte Horst Hackenbroich bei Karstadt einen Aushilfsjob mit Aussicht auf eine Festanstellung. Als zwei Kollegen Horst Hackenbroich als „Judenlümmel“ denunzierten, wurde ihm gekündigt.

Rückblickend sagte Horst Hackenbroich, er hätte zu diesem Zeitpunkt „keine Ahnung von Politik“ gehabt.  Die vom NS-Regime ausgehende Gefahr für die Juden im Deutschen Reich nahm Horst Hackenbroich zunächst nicht wahr. Als er im April 1933 Waren für das elterliche Fischgeschäft auslieferte, sah er SA-Leute vor jüdischen Geschäften stehend mit Transparenten „Kauft nicht bei Juden ein“. Mit aus Flugzeugen abgeworfenen Flugblätter wurde die Bevölkerung ermahnt, jüdische Geschäfte nicht zu betreten. Horst Hackenbroich war überrascht, dass in einem dieser Flugblätter das elterliche Geschäft als jüdisch bezeichnet wurde. Das Fischgeschäft hatte zunehmend unter der Judenhetzte zu leiden, so dass seine jüdische Mutter, zu deren Sicherheit, nicht mehr im Laden bedienen sollte.

Er glaubte sich geschützt durch den nicht jüdischen Vater, der jedoch von der katholischen Kirche nach Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ 1935 exkommuniziert wurde, weil er mit einer Jüdin verheiratet war und die Scheidung verweigerte. Horst Hackenbroich galt nach den Nürnberger Gesetzen 1935 als Mischling I. Grades. Er selber fühlte sich als „Mensch zweiter Klasse“ und suchte seine „halbjüdische“ Abstammung zu verbergen. Doch sobald man herausfand, dass er „Halbjude“ sei, wurde verlor er seinen Arbeitsplatz. Erst ein Arbeitsvertrag 1942 bei Firma Leffers als Expedient ließ ihn beruflich neu hoffen. Nach Feierabend leistete er am Doventorsteinweg zivilen Luftschutz.

Horst Hackenbroich verliebte sich in eine „Arierin“. Als „Halbjude“ riskierte er mit einem Verhältnis mit ihr den Straftatbestand der „Rassenschande“, der seit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ von 1935 mit Zuchthaus oder Gefängnis geahndet wurde. Mehrfach wurde er deshalb polizeilich vorgeladen und verwarnt. Überdies warf man ihm das Abhören von ausländischen Sendern und die Verbreitung der Inhalte vor. Trotz der daraus entstehenden Schwierigkeiten gab er den Kontakt zu der Frau nicht auf. Als er am 5. Juni 1943 erneut eine Vorladung der Kriminalpolizei erhielt, aufgrund einer Denunziation, nahm er das Ganze zunächst nicht ernst. Doch diesmal wurde er verhaftet und der Gestapo übergeben. Er kam in die Ostertorwache, zum Teil in Dunkelhaft, weil er verbotenerweise versuchte seiner Mutter eine Nachricht zukommen zu lassen. Das Gefühl der „vollkommenden Hilfslosigkeit“ setzte dem 29-jährigen sehr zu.

Von der Ostertorwache wurde er im August 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Dort war es üblich die neu angekommenen Häftlinge für die Lagerkartei zu fotografieren, gekennzeichnet mit Einlieferungsdatum und Transportnummer. Zur Demütigung wurden den Gefangenen die Köpfe rasiert. Als Kennzeichnung für „Rassenschänder“ war ein weißes Dreieck mit schwarzem Rand vorgesehen.

Ausgehungert und zerschunden nach dem Spießrutenlaufen für die Neuankömmlinge traf er den Kommunisten Gustav Gesselmann, seinen Friseur aus der Waller Nachbarschaft. Die Begegnung war für Horst Hackenbroich ein Glücksfall, weil dieser ihm den Zugang zum konspirativen KPD-Netzwerk innerhalb der Lagerverwaltung vermittelte. Horst Hackenbroich sagte später, ohne Gesselmann und dessen Kontakte hätte er höchstwahrscheinlich nicht überlebt.

Zu schweren Arbeitsdiensten eingeteilt, arbeitete er u.a. in dem Rüstungsbetrieb Gustloff-Werk II neben dem Lager. Nach Bombenangriffen gehörte er zu den Bergungstrupps, die in der Umgebung des Lagers Leichen bargen.

Im Konzentrationslager Buchenwald waren Antifaschisten aus zahlreichen europäischen Ländern interniert, die ihren Widerstand organisierten. Den Gefangenen gelang es Waffen und Munition zu organisieren, ins Lager zu schmuggeln und sorgfältig zu verstecken. Angesichts der bei Gotha stehenden US-Armee begann die SS am 7. April 1945 mit der Evakuierung Buchenwalds; es gelang ihr, trotz aller Verzögerungstaktiken der Häftlinge, etwa 28.000 Gefangene auf Todesmärsche zu schicken. Am 11. April 1945 gab die SS-Lagerleitung der Wachmannschaft den Befehl das Lager zu verlassen. Dies war der Zeitpunkt an dem die Gefangenen die Waffen aus den Verstecken holten. Die überraschten SS-Leute ergaben sich oder flüchteten.

Im Sommer 1945 war Alfred Hackenbroich zurück in Bremen, fand eine Anstellung als Büroangestellter und heiratete die Frau, deretwegen er verhaftet worden war. Seine Mutter erlebte das Kriegsende im Judenlager des jüdischen Krankenhauses in Berlin, sein Vater im Arbeitslager Farge, wo amerikanischen Truppen ihn befreiten.

Horst Hackenbroich sagte von sich, er wäre im Konzentrationslager Buchenwald zum Antifaschisten geworden. Seinem Schwur von Buchenwald 1945, die Opfer nicht zu vergessen und niemals wieder Faschismus und Krieg zu zulassen, ist er bis an sein Lebensende treu geblieben. Durch sein politisches Wirken geriet er in den 1970er Jahren in das Visier des Verfassungsschutzes und wurde mit Berufsverbot belegt. Horst Hackenbroich, der öffentlich noch im hohen Alter über sein Schicksal als „Halbjude“ sprach, starb am 28. Februar 1995 mit 81 Jahren in Bremen.

Quellen:
StA Bremen 4,54-E525, 4,53-E305, 4,54-E306, 7.500 Nr. 113, Einwohnermeldekartei
ITS Digital Archive, Bad Arolsen
www.kulturhauswalle.de
LEMO – Lebendiges Museum online

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