Siegmund Wolff, jüdischer Kaufmann aus Vegesack

19. Januar 1942
Alte Hafenstraße 23, Bremen

Die Mitglieder der Familie Wolff waren in Bremen-Vegesack durch ihr kulturpolitisches Engagement bekannt und angesehen – sie konnten als Vorzeigebeispiel assimilierter deutscher Juden gelten.
Siegmund Wolff, geboren 1863 in Vegesack, hatte lange Zeit dem dortigen Stadtrat angehört und war Inhaber eines Betten- und Manufakturwarengeschäftes. Verheiratet war er mit Selma, geborene Bry. Sein Vetter, Jacob Wolff, war Gemeindevorsteher der Aumunder Synagoge, sein Sohn Harry Inhaber eines Kaffeevertriebs und darüber hinaus Autor eines Heimatführers mit dem Titel »Bremer Land«.285

Siegmund Wolff besaß die beiden Häuser in der Vegesacker Hafenstraße 20 und 23.  In einem war das Geschäft untergebracht, in dem anderen wohnte das betagte Ehepaar Wolff. Anfang Januar 1939 wurde mit der »Abwicklung« des Geschäftes begonnen. Für diese wurde der Bücherrevisor und Steuerberater Josef Timmes von der Industrie- und Handelskammer bestellt, der das Geschäft am 6. Januar abmeldete. Timmes Auskunft nach hatten sowohl Warenlager als auch Inventar des Geschäftes nur noch geringen Wert – zu wenig, um die Gläubiger bezahlen zu können. Daher mussten, laut »Abwickler« Timmes, auch die Grundstücke verkauft werden:

»Um zu verhüten, dass die Gläubiger Verluste erleiden, schlage ich vor, nach der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.38 die notwendigen Anordnungen treffen zu lassen, damit die Grundstücke Vegesack Hafenstraße 23 und Hafenstraße 20 verkauft werden und der Erlös in die Abwicklungskasse fließt. Diese vorgeschlagene Regelung würde wegen der schnelleren Erledigung bestimmt mehr im Interesse der Gläubiger liegen, als ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens. « 286

Einige Tage später lehnte der Regierende Bürgermeister, Abteilung Innere Verwaltung, diesen Vorschlag jedoch ab: Maßnahmen zum Entzug jüdischen Vermögens seien nicht nötig, es solle, wie bisher geregelt, vom »Abwickler« ein Konkursverfahren eröffnet werden, so dass dann auch das Grundvermögen des Schuldners herangezogen werden könnte. 287

Inzwischen hatte sich in der Vegesacker Gegend die geplante »Arisierung« des Wolff’schen Geschäftes herumgesprochen. Ein Interessent wandte sich am 11. Januar 1939 an den Bremer Polizeipräsidenten:

»Endesunterzeichneter ist gewillt, arisieren zu helfen. Will das Haus des Juden Wolff in Vegesack Havenstraße 20 kaufen. Ich wünsche, das dort seit 100 Jahren bestehende Textilwarengeschäft weiterzuführen. Ich bin aus der Branche und führe seit 14 Jahren schon ein solches Geschäft in Lemwerder. Ein großer Teil meiner Kundschaft ist von Vegesack, Grohn und Aumund und Blumenthal; Heil Hitler! Georg Stellmann«.288

Auf Seiten der Behörde war die Liquidierung des Geschäftes jedoch schon beschlossene Sache. Dem »arisierwilligen« Textilhändler Stellmann wurde lapidar mitgeteilt: »Für die Weiterführung des Geschäftes bestehen keine volkswirtschaftlichen Gründe.«289 »Abwickler« Timmes brachte im Laufe des Liquidationsverfahrens die Eheleute Wolff dazu, sich zumindest auf den Verkauf eines ihrer beiden Häuser einzulassen. Allerdings sollten aus dem Verkaufserlös zunächst die Judenvermögensabgabe von 6167 RM gezahlt werden. Die Gläubiger des Geschäftes mussten zu ihrem Unwillen zunächst hintanstehen, worauf Timmes diesen vorwarf: »Wer nach 1933 noch die Juden durch Lieferungen und Kredite unterstützte, tat dies auf eigenes Risiko.«290

Timmes fand daraufhin recht bald einen Käufer für die Hafenstraße 20 im Geschäftsführer der Gleistein-Tauwerkfabrik, Georg Rasch. Bei einem Taxat von 30.000 RM wurde das Grundstück am 12. Mai 1939 für 17.100 RM verkauft. Käufer Rasch drängte die Behörde auf eine schnelle Genehmigung des Verkaufs, denn er beabsichtigte, in dem Haus neu angesiedelte sudetendeutsche Arbeitskräfte für seine Fabrik unterzubringen. 291 Kurz darauf, ihr Wohnhaus war verkauft, wurden die Eheleute Wolff in das »Judenhaus« in der Parkstraße 1 umquartiert.

Siegmund Wolff war dieser Belastung nicht gewachsen: Er starb am 8. Februar 1940. Seine Frau Selma versuchte das Haus in der Hafenstraße 23 noch zu veräußern, bevor auch sie dazu nicht mehr in der Lage sein sollte. Am 19. Januar 1942 wurde ein Kaufvertrag mit dem Klempnermeister Anton Schröder unterschrieben, der es für günstige 27.500 RM erwarb (bei einem Taxat von 40.000 RM). Wenige Monate später wurde Selma Wolff nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1945 starb. 285 -2901

Quelle: Die „Arisierung“ von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen, Hrsg: „Erinnern für die Zukunft e.V.“, III Fallbeispiele von Hanno Balz, im Verlag Edition Temmen

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

Ein Hinweis zu “Siegmund Wolff, jüdischer Kaufmann aus Vegesack”

  1. Petra Daum sagt:

    Meine Mutter, eine geborene Wolff, Jahrgang 1936, wurde von Ihrer Mutter mit Ihren 5 Geschwistern zur Adoption freigegeben.
    Meine Großmutter wanderte dann mit dem 6. Kind nach Kanada aus. Die schlüssigen Gründe sind bisher im Dunkeln geblieben und ich bin momentan auf Spurensuche. Da der Name auf jüdische Wurzeln deutet, kann es einen Zusammenhang zu Siegmund Wolff geben?
    Meine Mutter hieß: Lore Henny Auguste Wolff und wurde im Alter von 6 Jahren von der Familie Kleine in Blumenthal adoptiert.
    Die Tatsache, dass bei 6 Kindern weder der Vater noch die Mutter Verantwortung übernahmen und 5 Kinder in unterschiedliche Familien kamen scheint ungewöhnlich und für mich mit Not verbunden.
    Für Hinweise bin ich dankbar.
    Mit freundlichen Grüßen
    Petra Daum

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