Ein Schicksal unter §175. Die Verfolgung und Ermordung von Emil Walter Köster

Denkmal für Emil Walter Köster in Ihrhove, 2025
Denkmal für Emil Walter Köster in Ihrhove, 2025
Denkmal für Emil Walter Köster in Ihrhove, 2025
Denkmal für Emil Walter Köster in Ihrhove, 2025
18. April 1945
Essener Str. 1, Bremen-Neustadt

Der Marinesoldat Emil Walter Köster wurde im Nationalsozialismus als Homosexueller verfolgt. Nach seiner Flucht aus dem Straflager VII in Esterwegen wurde er kurz vor Kriegsende in der ostfriesischen Gemeinde Ihrhove – Westoverledingen ermordet. Seit April 2025 erinnert ein Denkmal auf dem Friedhof in Ihrhove an seine Geschichte.

Emil Walter Köster (Rufname: Walter) wurde am 15. Juni 1908 in Bremen geboren. Er wuchs in der Essener Straße auf, die auch seine letzte Meldeadresse war. Sein Vater verstarb im Mai 1919; seine Mutter heiratete 1923 erneut. In den Jahren 1923 und 1924 war Walter Köster „Zögling“ im Kalandshof in Rotenburg (Wümme), einer evangelischen Erziehungsanstalt des Rotenburger Fürsorgevereins. Nähere Umstände dieses Aufenthalts sind bisher nicht bekannt.[1] Später fuhr Walter Köster zur See und arbeitete als Schmierer und Maschinist. Im Juni 1941 wurde er in die Kriegsmarine eingezogen und am 1. Juli 1942 zum Maschinengefreiten befördert. Als solcher war er für die Bedienung und Instandhaltung der Maschinen an Bord der Kriegsschiffe zuständig.

Walter Köster wurde mehrmals wegen „sexueller Handlungen mit Männern“ (§175a StGB) verurteilt und am 25. Juni 1943 aus der Marine entlassen. Er verbrachte die folgenden Monate in diversen Haftanstalten. Im Juli 1944 wurde Walter Köster vor einem Militärgericht in Wilhelmshaven erneut zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus nach dem §175a verurteilt.

Der Paragraph 175, seit 1871 Bestandteil des deutschen Strafgesetzbuches, war eines der wichtigsten Instrumente im Nationalsozialismus, um homosexuelle Männer beziehungsweise Männer, denen gleichgeschlechtliche Beziehungen vorgeworfen wurden, zu verfolgen. Die durch die Nationalsozialisten eingeführte Formulierung „sexuelle Handlungen“ war bewusst weitläufig gewählt, so dass auch Gesten und Berührungen bereits strafrechtlich verfolgt werden konnten. Die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen setzte sich nach 1945 fort. Zwar wurde der Paragraph 1969 in der Bundesrepublik reformiert und somit ‚entschärft‘, jedoch erst 1994 vollständig aus dem deutschen Strafgesetzbuch entfernt.

Am 13. Oktober 1944 wurde Walter Köster in das Straflager VII Esterwegen im Emsland eingewiesen. Das Lager war bereits 1933 als Konzentrationslager zur Internierung politischer Gegner des NS-Regimes eingerichtet worden. Ab 1936 nutzte die Justiz das Gelände als Strafgefangenenlager, in dem neben verurteilten (ehemaligen) Soldaten auch zivile Gefangene inhaftiert waren, die aus politischen, rassischen, religiösen und weiteren Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.

In den Häftlingsunterlagen ist die Kleidung vermerkt, die Walter Köster nach seiner Einweisung in das Lager gegen Sträflingskleidung eintauschen musste: „1 blaue Bluse mit Reißverschluss; 1 blaue Knickerbocker; 1 Sportgürtel; 1 Paar grüne Sportstrümpfe; 1 gestreiftes Unterhemd; 1 blaues Sporthemd, defekt.“[2]

Die Gefangenen des Lagers wurden zu schwerer Zwangsarbeit im umliegenden Moor sowie in kriegswichtigen Betrieben und in der Landwirtschaft gezwungen. Die Ernährung war nicht ausreichend und die Gefangenen waren willkürlichen Misshandlungen durch die Wachmannschaften ausgesetzt. In den ersten Monaten in Esterwegen verlor Walter Köster über 8 Kilogramm Gewicht, so das er bei einer Körpergröße von 1,70 bald weniger als 60 Kilogramm wog.

Am 25. März 1945 sollte er an das Zuchthaus Celle überstellt werden. Dazu ist es jedoch nie gekommen. In den letzten Kriegstagen begannen die Nationalsozialisten damit, die Lager zu räumen. Auch die Häftlinge der 15 Emslandlager wurden auf sogenannte Todesmärsche getrieben. Die Gefangenen des Straflagers VII mussten zusammen mit den Gefangenen des Lagers Börgermoor in das etwa 25 km entfernte Collinghorst marschieren. Unterwegs gelang mehreren Häftlingen die Flucht; so auch Walter Köster. Er wurde wenige Tage später, um den 11./12. April herum, völlig entkräftet im Wald bei Ihrhove in der Gemeinde Westoverledingen von zwei jungen Frauen aufgefunden. Die Bewohner:innen des Dorfes sperrten ihn im Feuerwehrhaus ein. Er wurde ärztlich versorgt, doch es gibt auch Berichte über Misshandlungen durch den Ortspolizisten. Am 18. April holten ihn zwei Wachleute, die als Aufseher im Emslandlager Aschendorfermoor tätig waren, und brachten ihn unter den Augen der Bevölkerung auf den nahegelegenen Friedhof. Dort erschossen sie den 36-jährigen Walter Köster und begruben ihn anschließend am Rande des Friedhofs.

Die Wachmänner mussten sich in einem Verfahren vor dem britischen Militärgericht in Oldenburg verantworten. Einer der beiden Angeklagten nahm sich am 30. Dezember 1945, dem Tag der Urteilsverkündung, in seiner Zelle das Leben. Der andere Angeklagte kehrte ein Jahr später nach Westoverledingen zurück, sprach allerdings mit seiner Familie nie über die Tat. Die Akten des Verfahrens sind verschollen, so dass nicht nachvollzogen werden kann, ob es zu einem Urteilsspruch gekommen ist.

Der Lokalhistoriker Hermann Adams hat für seine Dokumentation über Walter Köster mit den Bewohner:innen der Ortschaft gesprochen. Alle noch lebenden Zeitzeug:innen erinnern sich deutlich an den Gefangenen und die Ereignisse im April 1945. Doch es bleibt unklar, wer die Entscheidung getroffen hat, Walter Köster einzusperren und wer den Befehl zu Tötung gegeben hat. Die Tochter eines der beiden Täter erinnert sich, dass Willi Herold ihren Vater unter Druck gesetzt hatte. Herold hatte Anfang April 1945 eigenständig das Kommando im Strafgefangenenlager II Aschendorfermoor übernommen und war dort verantwortlich für die Massenermordung von über 2.500 Gefangenen.

Nach dem Krieg veranlasste Walter Kösters Mutter die Umbettung ihres Sohnes, der am 1. Oktober 1945 auf dem Friedhof Buntentor in der Bremer Neustadt beigesetzt wurde. Hermann Adams und der Bildhauer Gerd Christmann setzten sich seit 2020 für eine Gedenktafel in Ihrhove ein. Während der Covid-19-Pandemie kam das Projekt zum erliegen. Im Jahr 2024 ergriffen die Nachkomm:innen eines der Täter die Initiative und forderten von der Stadtgemeinde und dem Kirchenrat (das Denkmal sollte am Tatort, d.h. auf dem Friedhofsgelände aufgestellt werden) die Wiederaufnahme der Gespräche.

Letztendlich ist es ein Denkmal geworden, das auf die christliche Symbolik eines Kreuzweges rekurriert. Fünf Reliefs, angeordnet in der Form eines Kreuzes, zeigen Situationen aus der Geschichte Emil Walter Kösters. Am 18. April 2025 – 80 Jahre nach dem Mord – wurde das Denkmal eingeweiht. Auch das Queere Netzwerk Ostfriesland und weitere Verbände und Personen aus der LGBTIQ*-Community waren anwesend. Für sie ist die Anerkennung von und das Erinnern an Personen, die im NS als Homosexuelle verfolgt worden sind, von zentraler Bedeutung.

Quellen:

Adams, Hermann: „Erschossen am 18. April 1945 in Ihrhove – Westoverledingen“. Dokumentation, Westoverledingen 2018.
Brakmann, Thomas: „Erschossen in den letzten Kriegstagen“ (4.12.2018), in: Osnabrücker Geschichtsblog, URL: https://hvos.hypotheses.org/2358 (Stand: 28.9.2025).
Gemeinde Westoverledingen: Denkmal für Emil Walter Köster (2025), URL: https://www.westoverledingen.de/freizeit/denkmaeler-kriegsgraeber/denkmal-fuer-emil-walter-koester (Stand: 28.9.2025).
KZ-Gedenkstätte Esterwegen: „Die Emslandlager“, URL: https://www.gedenkstaette-esterwegen.de/geschichte/die-emslandlager/ (Stand: 29.9.2025).
Instagram-Post vom Queeren Netzwerk Ostfriesland u.a. vom 19.4.2025, URL: https://www.instagram.com/queeresnetzwerkostfriesland/ (Stand: 28.9.2025).

 

[1]    Seine Zöglingsakte im NLA Stade könnte näheren Aufschluss über den Aufenthalt in der Anstalt geben, konnte aber im Rahmen dieser Recherche noch nicht eingesehen werden.
[2]    NLA OS, Rep 947 Lin I Nr. 542 fol. 57R, zitiert nach Brakmann: „Erschossen in den letzten Kriegstagen.“

 

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