Der eh­ren­wer­te Herr L. – ein SS-Of­fi­zier un­ter Ver­dacht

30.4.1937, Beamte der Kripo auf dem Flur des Polizeihauses (Staatsarchiv Bremen)
30.4.1937, Beamte der Kripo auf dem Flur des Polizeihauses (Staatsarchiv Bremen)
1. Juli 1941
Bar­ba­ros­sa­stra­ße 23, Gar­ten­stadt - Vahr, Bre­men

Her­mann Hein­rich Wil­helm Lumm wur­de am 2. März 1912 in Bre­men ge­bo­ren. Er be­such­te in Bre­men das Re­al­gym­na­si­um, das jet­zi­ge Gym­na­si­um an der Her­mann – Böse-Str. Im Mai 1938 er­hielt er vom SS-Sip­pen­amt die Er­laub­nis, Sel­ma Laue zu hei­ra­ten. Aus der Ehe gin­gen sechs Töch­ter und ein Sohn her­vor.

Lumm ge­hör­te be­reits als jun­ger Mann dem rechts­ge­rich­te­ten Jung­stahl­helm an. Im Mai 1933 ließ Lumm sich als Be­wer­ber bei der „All­ge­mei­nen SS“ re­gis­trie­ren. Als Mit­glied er­hielt er die Num­mer 272349. Ab Fe­bru­ar 1934 wur­de er als Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter beim Zoll ein­ge­stellt, spä­ter bei der Po­li­zei­di­rek­ti­on We­ser­mün­de. Dies war der An­fang sei­ner po­li­zei­li­chen Kar­rie­re. Eben­so wur­de er als NS­DAP-Mit­glied mit der Nr. 4183394 ge­führt. 1934 kam Lumm erst­ma­lig in be­ruf­li­chen Kon­takt mit Erwin Schulz, der von 1934/​35 bis 1939 Chef der Ge­sta­po in Bre­men war. Die­se Ver­bin­dung soll­te in den kom­men­den Jah­ren noch eine wich­ti­ge Rol­le spie­len.

Nach Teil­nah­me an ei­nem Kri­mi­nal­kom­mis­sar-Lehr­gang in Ber­lin wur­de er 1935/​36 in Bre­men bei der Staats­schutz­po­li­zei ein­ge­setzt (sie­he Foto: Lumm in der Bild­mit­te, 6. von links). Der nun­meh­ri­ge Kri­mi­nal­kom­mis­sar war jetzt als SS-Stamm-Rot­ten­füh­rer im SD Nord-West und als Lei­ter der Abt. 3, Ab­wehr und Grenz­po­li­zei, im Raum Bre­mer­ha­ven-Cux­ha­ven im Ein­satz. 1940 ging er mit sei­ner Fa­mi­lie nach Ber­lin, hol­te dort sein Ab­itur nach und be­gann ein Ju­ra­stu­di­um. An­fang 1941 nahm er an ei­nem Son­der­lehr­gang für An­wär­ter des lei­ten­den Diens­tes in der von Er­win Schulz ver­ant­wor­te­ten Ber­li­ner Füh­rer­schu­le der Si­cher­heits­po­li­zei (Sipo) teil. Im Mai 1941 wur­den alle Teil­neh­mer die­ses Lehr­gangs nach Pretzsch an der Elbe nahe Wit­ten­berg zur dor­ti­gen Grenz­po­li­zei­schu­le ab­kom­man­diert. Hier wur­den die Ein­satz­grup­pen für Ost­eu­ro­pa ge­bil­det. Sei­nem Rang nach war Lumm jetzt SS-Ober­sturm­füh­rer und Mit­glied des Ein­satz­kom­man­dos 5 und da­mit er­neut Schulz un­ter­stellt, der die­ses Kom­man­do lei­te­te. Das EK 5 wur­de mit sei­nen Teil­kom­man­dos auf dem Ter­ri­to­ri­um der mitt­le­ren Ukrai­ne in der So­wjet­uni­on ein­ge­setzt.
Lumm ge­hör­te nicht zu den obe­ren Be­fehls­rän­gen, führ­te al­ler­dings spä­ter ein Teil- bzw. Exe­ku­ti­ons­kom­man­do. So­fort nach dem Ein­tref­fen des EK 5 und da­mit auch von Schulz und Lumm in Lem­berg be­gan­nen am 1. und 2. Juli 1941 die ers­ten Exe­ku­tio­nen an der jü­di­schen Be­völ­ke­rung. Lem­berg hat­te zu die­sem Zeit­punkt ca. 150.000 jü­di­sche Ein­woh­ner/​in­nen. Die Exe­ku­tio­nen rich­te­ten sich vor al­lem ge­gen jü­di­sche Per­so­nen, eben­falls be­trof­fen war aber auch die pol­ni­sche Be­völ­ke­rung. Ende Au­gust 1941 reis­te Schulz nach Ber­lin und kam an­schlie­ßend nicht wie­der zu­rück zu sei­nem Ein­satz­kom­man­do. In­zwi­schen war das EK 5 mit sei­nen Teil­kom­man­dos wei­ter bis nach Kiew ge­zo­gen und führ­te an meh­re­ren Or­ten Exe­ku­tio­nen durch. Dar­an be­tei­ligt war auch Lumm.
Im Ja­nu­ar 1942 wur­de das EK 5 in Kiew auf­ge­löst. Lumm er­hielt an­schlie­ßend an ver­schie­de­nen Stel­len nach­rich­ten­dienst­li­che Auf­ga­ben und konn­te im Au­gust 1943 sein zwei­tes Staats­ex­amen als Ju­rist ab­le­gen. Nach Kriegs­en­de kehr­te Her­mann Lumm mit sei­ner Fa­mi­lie zu­rück nach Bre­men. Als ehe­ma­li­ger Ge­sta­po­mann konn­te er nicht mehr in den Po­li­zei­dienst über­nom­men wer­den.
1946 wur­de er in Darm­stadt in­ter­niert, um sei­ne Nazi-Ver­gan­gen­heit zu un­ter­su­chen. Man stuf­te ihn, wohl auch auf Grund ge­fäl­li­ger „Per­sil­schei­ne“, als „Mit­läu­fer“ ein. 1948 führ­te al­ler­dings ein neu­es Ver­fah­ren zu sei­ner Über­füh­rung in das La­ger Rie­spott (ver­lin­ken) in Bre­men. Aber auch die­ses Ver­fah­ren führ­te nicht zu ei­ner An­kla­ge. Er hat­te le­dig­lich eine, an­ge­sichts der von ihm mit zu ver­ant­wor­ten­den Exe­ku­tio­nen im Os­ten, ge­rin­ge Geld­stra­fe zu zah­len. Nach der In­ter­nie­rung be­zog Lumm mit sei­ner Fa­mi­lie zu­nächst eine Woh­nung in der Po­se­ner Stra­ße in Grö­pe­lin­gen.
1952 er­hielt er wie­der eine Stel­le im öf­fent­li­chen Dienst und zog 1955 in die Für­ther Stra­ße. Ab April 1956 über­nahm Lumm als Ober­re­gie­rungs­rat die Lei­tung des Las­ten­aus­gleich­sam­tes, das ver­ant­wort­lich war für den Aus­gleich von Ver­mö­gens­ver­lus­ten von Deut­schen im Os­ten.
An­fang Mai 1960 wur­de Lumm je­doch ver­haf­tet. Ge­gen ihn wird er­neut er­mit­telt. Doch kommt es nicht zur Er­öff­nung ei­nes Haupt­ver­fah­rens, da Lumm sich nach Auf­fas­sung der Er­mitt­lungs­be­hör­den in ei­nem Be­fehls­not­stand be­fand. So wuss­te er an­geb­lich nicht, wie sein Vor­ge­setz­ter Er­win Schulz auf eine Ver­wei­ge­rung re­agie­ren wür­de. Her­mann Lumm wur­de zwar vom Dienst sus­pen­diert, aber dis­zi­pli­na­risch nicht be­langt. Da kein Haupt­ver­fah­ren statt­fand, gab es auch kei­ne Ver­ur­tei­lung. Dem­entspre­chend konn­te er sei­ne Amts­be­zeich­nung „Ober­re­gie­rungs­rat“ bei­be­hal­ten, was nicht un­we­sent­lich zu sei­nen Pen­si­ons­an­sprü­chen bei­trug.

Lumm starb am 8. Ok­to­ber 2000 in Bre­men ohne je­mals für sei­ne Ta­ten ver­ur­teilt wor­den zu sein.

Quelle: Anne E. Dün­zel­mann: „Der eh­ren­wer­te Herr L. – Ein SS-Of­fi­zier un­ter Ver­dacht“, Book on De­mand, ISBN 978-3-75281-445-3

Veröffentlicht am und aktualisiert am 31. Mai 2018

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