Zwangs­ar­beit bei den Stadt­wer­ken Bre­men

NS-Zelles Gaswerk, 1.5.1933 (swb AG)
Französische Kriegsgefangene, Sept. 1940 (swb AG)
Zwangsarbeiter beim Trümmerräumen am Heizkraftwerk(swb AG)
1. Ja­nu­ar 1940
Theo­dor-Heuss-Al­lee (da­mals Schlacht­hof­stra­ße) 20, Bre­men-Fin­dorff

In der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus muss­ten die Stadt­wer­ke Bre­men mit im­mer we­ni­ger Per­so­nal, das ab­ge­zo­gen wur­de um in der Wehr­macht zu die­nen, im­mer mehr Gas und Elek­tri­zi­tät pro­du­zie­ren da­mit die wach­sen­de Rüs­tungs­in­dus­trie am Lau­fen ge­hal­ten wer­den konn­te. Be­reits ab 1940 be­müh­te man sich des­halb die per­so­nel­len Lü­cken mit Fremd­ar­bei­ter:in­nen aus dem Aus­land zu fül­len. Als das nicht mehr aus­reich­te, ka­men Zwangs­ar­bei­ter:in­nen, Kriegs­ge­fan­ge­ne, KZ- und Zucht­haus­häft­lin­ge hin­zu. Der jüngs­te von ih­nen war Mi­cha­el Ko­rot­ko­witsch aus der So­wjet­uni­on. Er war 13 Jah­re alt, als er fern sei­ner Hei­mat ge­zwun­gen in Bre­men zu ar­bei­ten. Der äl­tes­te war der 67 Jah­re alte Jo­hann Sto­schitsch.
Dass sol­che Ein­zel­hei­ten be­kannt ge­wor­den sind, ist der Rechts­nach­fol­ge­rin der Stadt­wer­ke, der heu­ti­gen swb AG, zu ver­dan­ken. Als in ei­nem Schrank zwei Kar­tons mit den Per­so­nal­un­ter­la­gen von über 500 aus­län­di­schen Ar­beits­kräf­ten auf­tauch­ten, war dies für swb An­lass, sich mit der da­mit ver­bun­de­nen Ge­schich­te der Stadt­wer­ke Bre­men aus­ein­an­der zu set­zen. Dar­auf­hin trat die swb AG der „Stif­tungs­in­itia­ti­ve der deut­schen Wirt­schaft“ bei, die eine nach­träg­li­che fi­nan­zi­el­le Ent­schä­di­gung der ehe­ma­li­gen Zwangs­ar­bei­ter:in­nen plan­te.

1933 wa­ren die Stadt­wer­ke ein staat­li­cher Be­trieb, des­sen Be­leg­schaft aus Be­am­ten, An­ge­stell­ten und Ar­bei­ter*in­nen be­stand. Nach der Macht­über­nah­me durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wur­den vie­le von ih­nen ent­las­sen, weil sie der NS­DAP kri­tisch ge­gen­über stan­den. Das galt z. B. für den Gas- und Was­ser­werk­di­rek­tor Hein­rich Schüt­te, der 1934 sei­nen Hut neh­men muss­te. Be­son­ders hart traf es die eher links ein­ge­stell­te Be­leg­schaft des Gas­werks in Wolt­mers­hau­sen und des Dampf­werks in Has­tedt. Bis zu 25 % der Be­leg­schafts­mit­glie­der ver­lo­ren ihre Stel­le. Sie soll­ten durch re­gime­treue „Volks­ge­nos­sen“ er­setzt wer­den, ob­wohl sie z. T. da­für gar nicht qua­li­fi­ziert wa­ren.
Nach­fol­ger von Schüt­te wur­de Fried­rich Hopf, der be­reits 1931 in die NS­DAP ein­ge­tre­ten war und auch Mit­glied der SA war. Hopf stell­te an­schlie­ßend sei­nen Par­tei­ge­nos­sen Wal­ter Bo­lenz als lei­ten­den In­ge­nieur im Gas­werk an.
Der Tisch­ler Ri­chard Bes­te wie­der­um war von der SA im KZ Missler als Be­wa­cher ein­ge­setzt wor­den. Als nach Pro­tes­ten aus der Fin­dorf­fer Be­völ­ke­rung das KZ auf ei­nen Kahn in der Och­tum-Mün­dung ver­legt wur­de, wur­de Bes­te im Gas­werk der Stadt­wer­ke zum Be­triebs­ob­mann der Deut­schen Ar­beits­front (DAF). Da­mit wur­de er qua­si als „Be­leg­schafts­ver­tre­ter“ zur rech­ten Hand von Hopf.

Die ver­blie­be­ne Be­leg­schaft wur­de zu­neh­mend im Sin­ne der Volks­ge­mein­schaft und der NS­DAP ideo­lo­gisch ge­bil­det. Aus Di­rek­to­ren wur­den jetzt Be­triebs­füh­rer, aus der Be­leg­schaft wur­de eine Ge­folg­schaft. Auf dem Ge­län­de des Gas­werks wur­de zwecks Ein­schüch­te­rung und Be­spit­ze­lung eine Wach­mann­schaft aus SA-Män­nern sta­tio­niert. Fol­ge die­ser Be­spit­ze­lung war u. a. die De­nun­zie­rung von Kol­le­gen aus un­ter­schied­li­chen Grün­den und de­ren Mel­dung bei der Ge­sta­po. Auf die­se Wei­se lan­de­ten ei­ni­ge von ih­nen für meh­re­re Wo­chen im Ar­beits­er­zie­hungs­la­ger Far­ge.

In­ter­es­san­ter­wei­se wur­den be­reits 1934 die De­cken der Kel­ler­räu­me im Haupt­ge­bäu­de der Stadt­wer­ke in der Schlacht­hof­stra­ße so ver­stärkt, „dass sie von einstürzenden Gebäudeteilen nicht durchschlagen werden können – wie es bei Luftangriffen zu befürchten ist.“ Ähn­lich wie beim Bau der Ka­ser­nen in Hu­ckel­rie­de wur­de also von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten be­reits in ei­nem frü­hen Sta­di­um durch­aus ein be­vor­ste­hen­der Krieg ein­kal­ku­liert. Das galt auch für die rasch an­wach­sen­de Rüs­tungs­in­dus­trie in Bre­men: Fo­cke-Wulf mit sei­nem Flug­zeug­bau, die AG We­ser mit dem Bau von U-Boo­ten und Zer­stö­rern, die Francke Wer­ke mit ih­ren Was­ser­gas- und Was­ser­stoff­an­la­gen, Pro­duk­ti­on von Gra­na­ten und Mo­to­ren, Borg­ward mit sei­ner Auto- und Mi­li­tär­fahr­zeug­pro­duk­ti­on.
Sie alle brauch­ten viel In­dus­trie­strom um ihre Pro­duk­ti­on am Lau­fen zu hal­ten. Die Stadt­wer­ke wur­den zu ei­ner Ak­ti­en­ge­sell­schaft un­ter Füh­rung des E-Werk­di­rek­tors Wer­ner Mat­thi­as neu struk­tu­riert. Er war be­mer­kens­wer­ter­wei­se kein NS­DAP-Mit­glied, ver­füg­te je­doch über gute fach­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen. Dem er­höh­ten Be­darf an Strom stand je­doch ein Rück­gang der Be­leg­schaft ge­gen­über. Ab 1935 wech­sel­ten qua­li­fi­zier­te Ar­beits­kräf­te von den Stadt­wer­ken in die Rüs­tungs­in­dus­trie, die bes­se­re Löh­ne bot. Au­ßer­dem wur­den zu­neh­mend mehr Ar­beits­kräf­te für den Wehr­dienst ein­ge­zo­gen.
Zu­erst stell­te man des­halb, trotz ideo­lo­gi­scher Be­den­ken, wie­der zu­neh­mend Frau­en ein. Ab 1940 wur­den dann auch zi­vi­le aus­län­di­sche Ar­bei­ter:in­nen, sog. „Fremd­ar­bei­ter:in­nen“, an­ge­wor­ben.
Han­del­te es sich an­fäng­lich noch um Per­so­nen, die auf frei­wil­li­ger Ba­sis ka­men, wa­ren es 1941 im­mer mehr sol­che, die un­ter Druck ih­rer hei­mat­li­chen Ar­beits­äm­ter oder aus fi­nan­zi­el­len Grün­den an die Stadt­wer­ke ver­mit­telt wur­den. Sie ka­men aus den Nie­der­lan­den, Bel­gi­en, Frank­reich, Tsche­cho­slo­wa­kei, Dä­ne­mark, Po­len, So­wjet­uni­on etc. Die meis­ten von ih­nen, dar­un­ter auch Frau­en, wur­den in Ge­mein­schafts­la­gern, die von der DAF in meh­re­ren Stadt­tei­len be­trie­ben wur­den, un­ter­ge­bracht.
Ab Juli 1940 wur­den auch fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne dem Gas­werk über­stellt. Sie wur­den in ei­nem Ge­bäu­de auf dem Ge­län­de ei­ner al­ten Zie­ge­lei am See­fel­de oder in ei­ner Gast­stät­te am Ree­de­ich in der Neu­stadt un­ter­ge­bracht.
Wur­den die Fremd- und Zwangs­ar­bei­ter:in­nen an­fäng­lich vor­ran­gig mit Ar­bei­ten be­schäf­tigt, die kei­ne be­son­de­ren Qua­li­fi­ka­tio­nen ver­lang­ten, än­der­te sich dies im Ver­lauf des Welt­krie­ges im­mer mehr. Sie soll­ten zu­neh­mend die qua­li­fi­zier­ten Kräf­te er­set­zen, die bei den Stadt­wer­ken zum Wehr­dienst ein­ge­zo­gen wor­den wa­ren.

Zu­sätz­lich wur­den ab 1941 Straf­ge­fan­ge­ne aus Os­lebs­hau­sen oder aus La­gern im Ems­land bei den Stadt­wer­ken be­schäf­tigt und ab Mit­te 1943 so­gar KZ-Häft­lin­ge der Zweiten SS-Bau-Brigade aus dem KZ Neu­eng­am­me. Letz­te­re wa­ren auf dem Ge­län­de der ehe­ma­li­gen Hin­den­burg-Ka­ser­ne in Hu­ckel­rie­de un­ter­ge­bracht. Von De­zem­ber 1942 bis Sep­tem­ber 1944 wur­den von den Stadt­wer­ken auch bis zu sechs Chi­ne­sen be­schäf­tigt. De­ren Schif­fe wa­ren von der deut­schen Ma­ri­ne fest­ge­setzt wor­den und sie wur­den nun ge­zwun­gen Ar­beits­dienst zu leis­ten.

Nach der Be­frei­ung wur­den der Di­rek­tor Fried­rich Hopf, In­ge­nieur Max Berg oder Pro­ku­rist Ge­org Mey­er so­wie meh­re­re an­de­re Mit­ar­bei­ter der Stadt­wer­ke von der Bre­mer Spruch­kam­mer we­gen des Ein­sat­zes und Miss­hand­lung von Zwangs­ar­bei­tern ver­folgt, aber alle recht mil­de be­straft. Meh­re­re von ih­nen wur­den zu ei­nem spä­te­ren Zeit­punkt wei­ter­be­schäf­tigt. Die Stadt­wer­ke selbst wur­den wie­der­um ein staat­li­cher Be­trieb.

Quelle: Mar­cus Mey­er „… uns 100 Zi­vil­aus­län­der um­ge­hend zu be­schaf­fen – Zwangs­ar­beit bei den Bre­mer Stadt­wer­ken 1939 – 1945“ (Edi­ti­on Tem­men)

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

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