Lager für sowjetische Kriegsgefangene an der Ochtum

Bildquelle: www.obd-memorial.ru 120 893-1
Quelle: Relikte.com/Manfred Tegge
Staatsarchiv Bremen10,B-FS-30-30_3048, Luftaufnahme, 23.03.1945
Stele bei der Eröffnung am 4.12.2020
3. Dezember 1941
Ochtumdeich/Duckwitzstr. 67/69, Bremen-Neustadt

Grolland ist eine Siedlung am Rande der Stadt Bremen, durchquert vom Flüsschen Ochtum, einer Bahntrasse und der Autobahn. Zwischen 1936 und 1939 bauten hier Beschäftigte der umliegenden Rüstungsbetriebe, wie Focke-Wulf, Weser-Flugzeugbau, Francke Werke, aber auch der Reichspost, der Reichsbahn und Eduscho ihre Häuser. Die Firmen beteiligten sich häufig an der Finanzierung der Häuser, indem sie ihren Betriebsangehörigen zinslose Darlehen gewährten. Die Nationalsozialisten begleiteten den Siedlungsbau mit propagandistischen Parolen zur Förderung des Familienlebens und des Nachwuchses.

Am gegenüberliegenden Ufer des Grollander Ochtumdeichs, an der Ecke Duckwitzstraße, dort wo sich heute das EROS69-Center und eine Wäscherei befinden, stand ab Ende 1941 ein Barackenlager in dem sowjetische Kriegsgefangene untergebracht wurden (siehe Bild).
Das mit Stacheldraht abgesicherte und von bewaffneten Wehrmachtssoldaten überwachte Lager bestand aus acht Holzbaracken . Das Arbeitskommando selbst bestand aus 250–300 Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion und erhielt die Nummer 5840. Die ersten 78 Gefangenen trafen am 3. Dezember 1941 dort ein. Die meisten von ihnen waren gleich nach dem Überfall auf die Sowjetunion gefangen genommen und von der Front in norddeutsche Lager, u. a. in Wietzendorf bei Celle, gebracht worden. Ihr körperlicher Zustand war aufgrund mangelnder Ernährung und Bekleidung schlecht. Sowjetische Soldaten wurden von der Wehrmacht nicht als Kriegsgefangene im Sinne der Genfer Konvention anerkannt. Vor Ort in Bremen waren sie gezwungen in den benachbarten Francke Werken, einem Rüstungsbetrieb, zu arbeiten.

Die Zeitzeugin Frau Marion L., die als Kind in Grolland lebte, berichtet 2020, dass ihre Mutter sich Häftlinge aus dem „Russenlager“ „ausleihen“ konnte, damit diese im Austausch für eine warme Mahlzeit die schwere Gartenarbeit machen konnten. Ihr eigener Vater stand währenddessen möglicherweise an der Front in der Sowjetunion.

Auf dem angrenzenden Areal hinter dem Kriegsgefangenenlager befand sich auf einer freien Fläche ein Müllabladeplatz, der vom Bremer Amt für Kanalisation und Abfuhrwesen betrieben wurde. Ein Teil des Geländes war ab Januar 1937 an die Neustädter Firma Dietrich Stelljes verpachtet. Auf dem städtischen Areal wurden ab Dezember 1940 französische Kriegsgefangene zwangsweise beschäftigt. Diese wurden jedoch in Juli 1941 wieder abgezogen, weil ihre Tätigkeit nicht in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Genfer Konvention von 1929 in Sachen Behandlung von Kriegsgefangenen im Einklang stand.

Als Ersatz kamen bis November 1941 Strafgefangene aus dem Zuchthaus Oslebshausen zum Einsatz.
Am 29. November 1941 wurden 50 sowjetische Kriegsgefangene aus dem Stalag Wietzendorf erstmals auf der Müllhalde eingesetzt. Ab 1. Dezember 1941 wurde das Kommando aus organisatorischen Gründen verwaltungsmäßig dem Stalag Nienburg überstellt und erhielt die neue Kommandonummer 5806.
Auch diese Gefangenen waren in einem sehr schlechten körperlichen Zustand und nicht direkt einsatzfähig. Zwei von ihnen sind sofort nach ihrer Einweisung im Lager gestorben.
Im Herbst 1941 war für die geplanten Ankunft der sowjetischen Kriegsgefangene bereits der Mannschaftsunterkunftsraum der Arbeiter des Amtes für Kanalisation und Abfuhrwesen hergerichtet worden, die Fenster vergittert und die Unterkunft mit Stacheldraht umzäunt. Fünf Wehrmachtsangehörige, die in unmittelbarer Nähe untergebracht waren, bewachten die Gefangenen. Ihre Verpflegung erfolgte durch das Wohlfahrtsamt.
Die Gefangenen, die sowohl vom Amt, wie auch vom Pächter Stelljes beschäftigt wurden, mussten verwertbare Materialen, wie Metalle, Aluminium, Lumpen und Knochen, aus dem angelieferten Hausmüll heraussuchen und sortieren, die dann der Wirtschaft wieder zugeführt wurden. Stelljes ließ die Kriegsgefangenen außerdem aus noch verwertbaren Lebensmitteln, wie Kartoffelschalen; Kohlresten u. ä. (heute würde man „Biomüll“ sagen) Schweinefutter kochen. Dies verursachte in der Gegend einen fürchterlichen Gestank. Anschließend wurde der durchsuchte Hausmüll einplaniert, damit Schwellen auf dem Platz gelegt werden konnten, um den schweren Müllwagen das Befahren zu ermöglichen.
Der Arbeitseinsatz des Kommandos betrug 60 Stunden in der Woche. Einer von ihnen war der sowjetische Kriegsgefangene Charlampii Murawjew, geboren am 16. August 1917. Er wurde am 11.06.1942 auf der Flucht aus dem Lager erschossen. (Siehe Foto)

Anfang Februar 1942 brach in der Baracke auf dem Müllplatz unter den sowjetischen Gefangenen Fleckfieber aus. Die erkrankten Gefangenen wurden danach auf Veranlassung der Heeres-Sanitäts-Staffel Bremen am 12. Februar 1942 in das Lazarett des Stalags Wietzendorf gebracht. Die 33 gesunden Gefangenen sind bei der Gelegenheit ebenfalls in das Stalag Wietzendorf zurückverlegt worden. Das Lager war nun leer und das Kommando 5806 auf der Müllhalde wurde aufgelöst.

Als Ersatz wurden anschließend wiederum 30 Strafgefangene aus Oslebshausen zugewiesen, die in der inzwischen gereinigten und desinfizierten Unterkunft untergebracht wurden. Später wurden die Baracken vorübergehend dem Heimatkraftwerkpark leihweise zur Verfügung gestellt. In der Folge wurden dort 18 sowjetische Kriegsgefangene (Handwerker) untergebracht, die sowjetische Beutefahrzeuge für die Wehrmacht reparieren mussten.

Im Juni 1942 forderte das Amt für Kanalisation und Abfuhrwesen erneut sowjetische Kriegsgefangene für Arbeiten auf dem Müllabladeplatz an. Ob diese dem Amt letztendlich zugewiesen wurden, lässt sich anhand der heute vorliegenden Unterlagen nicht nachweisen. Zum 1. August 1942 sind vom Arbeitsamt 30 zivile Ostarbeiter für die Arbeiten auf dem Müllabladeplatz zugewiesen worden.

Im Umfeld der beiden Lager für sowjetische Kriegsgefangene gab es weitere Arbeitslager, wie z.  B. das Gemeinschaftslager „Storchennest“ für Zivilarbeiter an der Warturmer Heerstraße, ein Kriegsgefangenenlager für Franzosen am Reedeich und ein Gemeinschaftslager für Zivilarbeiter an der Neuenlander Straße. Siehe dazu den beigefügten Lageplan.

In diesen Lagern, die zeitweilig von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) geführt wurden, waren Niederländer, Belgier, Polen und Franzosen untergebracht, die ebenfalls Zwangsarbeit, z. B. in den Francke Werken oder für das Gaswerk in Bremen-Woltmershausen leisten mussten.

Am 3. Dezember 2020 wurde von der DENKORTE Initiative Neustadt und den Beiräten Neustadt und Huchting eine Gedenkstele an der Ecke Duckwitzstraße/Ochtumufer aufgestellt.

Weitere Texte zur Situation von Zwangsarbeiter*innen stehen hier zum Download bereit:

  • Arbeitskräftemangel vor dem Krieg PDF
  • Bremen als Rüstungsstandort PDF
  • Nicht Schutz der Genfer Konvention PDF
  • Arbeitskräftebedarf und Ausländereinsatz im Krieg PDF
  • Vergessene Opfer PDF
Veröffentlicht am und aktualisiert am 15. Januar 2023

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