Ab 1943 ordneten die deutschen Besatzer in den Niederlanden für alle Männer zwischen 18 und 50 Jahren den Arbeitseinsatz an. Die Betroffenen wurden zwangsweise nach Deutschland gesandt, um in kriegsnotwendigen Betrieben die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen, d.h. in der Industrie, bei der Reichsbahn oder –post, wie auch in kleineren Handwerksbetrieben oder in der Landwirtschaft. Sie erhielten einen Lohn, eine Unterkunft und Verpflegung und wurden krankenversichert.
Rien van den Eijnden (geb. 13. Dezember 1924/verstorben 2008) aus der kleinen Gemeinde Gemert, zwischen Eindhoven und Den Bosch gelegen, musste sich 1943 auf Anweisung der deutschen Besatzer für Arbeit in Kassel melden. Er bat jedoch nach Delmenhorst gehen zu dürfen, weil dort bereits sein Bruder Theo (geb. 21. Oktober 1923, verstorben 2008) in der Jute Spinnerei beschäftigt war. Außerdem arbeitete dort Jakobus Verhagen, ebenfalls aus Gemert. Die drei kannten sich von ihrer gemeinsamen Beschäftigung in einer Textilfabrik in Gemert. Ihre dort gesammelten Erfahrungen waren vermutlich der Grund für die Vermittlung an die Jute Spinnerei. Untergebracht waren sie in einem Gemeinschaftslager in der Weberstraße in Delmenhorst. Nach späteren Aussagen von Rien war die Arbeit nicht zu hart und die Verpflegung ausreichend. Trotzdem verlor er im Laufe von fast zwei Jahren ca. 16 Kg. an Gewicht.
In der Jute Spinnerei lernte Rien van den Eijnden die Polin Janina Helena Szeklewska (geb. 3. März 1923 in Ozorkov/Polen, verstorben 2007) kennen. Janina (Nina) ist gemeinsam mit Waclawa Tomaszersks (geb. 6. November 1926 in Lodz, verstorben 2016) im Juni 1941 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland deportiert worden. Während des Transports hatten sie sich angefreundet. Beide wurden zunächst in der Jute Spinnerei und Weberei in Walle/Bremen beschäftigt, die zum gleichen Konzern wie die Jute in Delmenhorst gehörten. Nina arbeitete im Haushalt eines Werksdirektors, ihre Freundin Waclawa (Watja), in der Spinnerei.
Beim großen alliierten Bombenangriff von 17./18. August 1944 auf dem Bremer Westen wurde die Jute Spinnerei schwer getroffen und zerstört. Rien van den Eijnden erinnerte sich später, dass er in Delmenhorst „abends die Zeitung lesen konnte beim Lichtschein, der von der Feuersbrunst in Bremen stammte“. Die polnischen Zwangsarbeiterinnen wurden nach dem Bombardement in die Jute Spinnerei Delmenhorst versetzt. Vermutlich trafen sich Rien und Ninas Blicke das erste Mal in den Produktionshallen.
Auf dem Weg zum Bunker half Rien der Polin Schutz zu suchen und verliebte sich in sie. Heimlich trafen sie sich, denn diese Liebe zwischen Zwangsarbeiter*innen war verboten. Durch die Verbindung von Rien und Nina stellte sich desgleichen eine Nähe zwischen Theo und Watja ein. Sie verliebten sich ebenfalls ineinander.
Am 20. April 1945 wurde Delmenhorst von kanadischen Truppen befreit. Bereits einige Tage vorher hatte die Werksleitung der Jute die Zwangsarbeiter*innen entlassen. Sie durften nach Hause gehen. Aber Nina und Watja wollten nicht zurück nach Polen, zum einen, weil sie nicht wussten, ob ihre Angehörigen noch lebten, zum anderen, weil dort inzwischen die Sowjets herrschten. Gemeinsam mit den Brüdern van den Eijnden machten sie sich auf dem Weg in die Niederlande. In Lingen wurden sie in einer Kaserne untergebracht, genutzt als Lager für „displaced persons“. Als die beiden Frauen hörten, dass sie ohne Trauschein nicht in die Niederlande reisen durften, wurde vor Ort am 9. Mai geheiratet, genau einen Tag nach der Kapitulation Deutschlands. Fünf Tage später erreichten die jungen Ehepaare Gemert. Zusammen wohnen war den Eheleuten nicht erlaubt, denn im katholischen Süden der Niederlande muss zuerst kirchlich geheiratet werden. Die standesamtliche Trauung in Deutschland zählte nicht!
Erst 1948 bekamen sie ihre erste Wohnung zugewiesen. Die Integration der polnischen Frauen in Gemert ist sicherlich nicht einfach gewesen. Sie mussten in einem Land zurechtkommen, dessen Kultur und Sprache sie nicht kannten. Der „Eiserne Vorhang“ hinderte sie in den Folgejahren ihre Angehörigen in Polen zu besuchen. Erst mit Lockerung der Reisebedingungen wurde dies in den 1960er Jahren möglich. Nina und Rien bekamen sieben Kinder, Watja und Theo vier.
Quellen:
Die Geschichte der beiden polnischen Frauen geht vor allem zurück auf Erzählungen deren Kindern, die im Laufe der Zeit aufgeschrieben wurden, u. a. in
Anny van de Kimmenade-Beekmans “Gemert bezet – Gemert bevrijd. Hoe een Brabants dorp de oorlog doorkwam”, S. 102-104, Heemkundekring “de Kommanderij Gemert” (1994)
Hein van Dooren “Wacia Tomaszewska en Janina Szeklewska, twee Poolse vrouwen in Gemert”, S. 19-29, in Gemerts Heem, (4/2019).
Die beiden Bilder der Ehepaare wurden freundlicherweise von Sonja van den Eynden zur Verfügung gestellt.
Veröffentlicht am 14. Juli 2025