Mord an Bauernfamilie im Blockland

Eröffnung des Blockland-Mord-Prozesses am 25. Februar 1946 im Bremer Schwurgericht. Ausstellungsmaterial ›Versöhnung im Alleingang‹ – Wilhadi-Gemeinde, Steffensweg 89
Mordprozess-im-Bremer-Schwurgericht
20. November 1945
Niederblocklander Hof Kapelle, Bremen

Am 20. November 1945 werden in einem Keller auf dem Hof Kapelle des Bauern Flothmeier im Niederblockland 12 Menschen durch Schüsse ermordet. Offensichtlich sind die Familien Flothmeier und Hamelmann, darunter 4 Enkelkinder des Hofbesitzers, ihre Angestellten und eine Besucherin einem Raubüberfall zum Opfer gefallen. Nur Wilhelm Hamelmann, Schwiegersohn des Bauern, überlebt das Gemetzel. Schwerverletzt gelingt es ihm die Sommerlauben in Gröpelingen zu erreichen, deren Bewohner die Polizei verständigen.
Als Tatverdächtige werden von der Polizei recht schnell polnische Zwangsarbeiter aus dem nahgelegenen „Camp Tirpitz“ ausgemacht. In der ehemaligen Tirpitz Kaserne am Schwarzen Weg in Gröpelingen sind von der amerikanischen Militärregierung nach der Niederschlagung der nationalsozialistischen Herrschaft, sogenannte „displaced persons“, auch DP’s genannt, untergebracht. Darunter auch polnische Zivilisten, die von den Nazis als Zwangsarbeiter aus ihrer Heimat nach Bremen verschleppt wurden.

Bereits innerhalb von wenigen Tagen werden acht, teilweise noch sehr junge Polen aus dem Camp Tirpitz als Tatverdächtige gefasst. Sie werden am 22. November mit gefesselten Händen dem schwerverletzten Hamelmann am Krankenhausbett vorgeführt. Dieser identifiziert sie in offensichtlich traumatisiertem Zustand als Täter. Später wird ein neunter Tatverdächtigter verhaftet.
Die Beweisaufnahme durch die Bremer Polizei ist notdürftig. So werden u. a. erst nachträglich Fingerabdrücke abgenommen, es werden keine Waffen sichergestellt und es wird auch kein Kahn gefunden, mit dem die Tatverdächtigen den Fluss hätten überqueren können. Trotzdem werden die Tatverdächtigen, nicht zuletzt auf Grund der stigmatisierenden Reaktionen auf die Morde in der Öffentlichkeit, recht schnell zu Tätern gemacht.
Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass insbesondere bei der noch von der nationalsozialistischen Ideologie geprägten Polizei, rassistische Vorurteile eine Rolle bei der Untersuchung des Tathergangs gespielt haben. Auch der US-amerikanischen Militärregierung war es wichtig, gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie im besiegten Deutschland für Recht und Ordnung sorgen wird.

Nur 3 Monate nach der Mordnacht wird den neun Angeklagten vor einem US-amerikanischen Militärgericht im Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichts der Prozess gemacht. Nach nur drei Tagen werden vier von ihnen am 27. Februar 1946 zum Tode verurteilt, drei erhalten eine lebenslängliche Zuchthausstrafe und einer eine 40-jährige Haftstrafe. Ein Tatverdächtiger wurde bereits im November 1945, also noch vor dem Prozess, wahrscheinlich auf Grund des Eingreifens der amerikanischen MP (Militärpolizei) freigelassen. Die Todesurteile werden von einem amerikanischen Militärpolizeikommando auf einem Schießplatz am Neuenlander Feld vollstreckt – das heutige Bremer Flughafengelände. Die Leichen werden auf dem Osterholzer Friedhof beigesetzt. In einem zweiten Prozess im September 1946 wurde wg. seiner Beteiligung am Mord ein weiterer Angeklagter verurteilt. Er erhielt eine lebenslange Zuchthausstrafe.

Ca. 20 Jahre nach ihrer Verurteilung wird sich das Opfer Wilhelm Hamelmann, der beim Überfall seine Frau, seine vier Kinder, seine Eltern und Schwiegereltern verloren hat, für die Entlassung der verbliebenen Häftlinge einsetzen. Dabei wird er nicht nur von seinem christlichen Glauben geleitet, sondern auch möglicherweise von der Erkenntnis, dass er bei der Gegenüberstellung im Jahre 1945 selbst dazu beigetragen hat, dass einige der Tatverdächtigen zu Unrecht verurteilt wurden. Bereits zur Beerdigung seiner Familie auf dem Friedhof von Wasserhorst hatte der schwerverletzte Hamelmann, der noch im Krankenhaus weilte, Bürgermeister Kaisen gebeten „die Grabreden nicht zur Verhetzung auszunutzen“.

Als drei  der polnischen Häftlinge auf Grund eines Gnadenerlasses 1957 freigelassen werden sollen, verweigern ihre Herkunftsländer Polen und die Sowjetunion (Lwów/Lemberg gehört inzwischen nicht mehr zu Polen, sondern zur Sowjetunion) die Aufnahme. Insofern verbringen sie weitere zehn Jahre in der Haft in Fuhlsbüttel bei Hamburg. Erst dann gelingt es Hamelmann tatsächlich zwei von ihnen frei zu bekommen und an einem bisher unbekannten Ort unterzubringen. Der Dritte verweigert die angebotene Hilfe, kommt aber trotzdem frei. Die beiden anderen der zu Haftstrafen Verurteilten sind bereits Mitte oder Ende der 1950er-Jahre entlassen worden. Die näheren Umstände dazu sind bis heute ungeklärt.

Quelle: Die Ereignisse im Blockland sowie der nachfolgende Gerichtsprozess sind ausführlich dokumentiert im Buch „Als Opfer zu Tätern wurden – eine Tragödie aus deutscher Nachkriegszeit“ von Helmut Dachale und Carsten Momsen (Herausgeber Edition Falkenberg, 2019). Helmut Dachale erläutert im folgenden Text, der zum Download bereit steht, die Hintergründe des Gerichtsurteils gegen die polnischen Zwangsarbeiter.

Der Journalist Peter Meier-Hüsing von Radio Bremen 2 berichtete November 2020 über die Ereignisse im Blockland. Siehe hierzu die Website.

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 29. November 2022

Ein Hinweis zu “Mord an Bauernfamilie im Blockland”

  1. Jörg Meyer sagt:

    Nur eine kleine Korrektur:
    Die Blocklandmorde geschahen am 20. November 1945 – nicht im April

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