Ger­trud Ha­cken­broich soll nicht mal Fisch ver­kau­fen

Steffensweg 184, Gertrud Hackenbroich, Quelle Kulturhaus Brodelpott
Lebenslauf der Gertrud Hackenbroich
Gertrud Hackenbroich, StA HB 4,54-E306
1. Juni 1944
Stef­fens­weg 184, Bre­men-Wal­le

Ger­trud Ha­cken­broich wur­de am 8. Ja­nu­ar 1887 ge­bo­ren, als Toch­ter des Kauf­manns Mo­ritz Les­ser und des­sen Ehe­frau Ro­sa­lie (geb. Mey­er). Ihre El­tern wa­ren mo­sai­schen Glau­bens. Sie wuchs in Nau­gard/​Pom­mern auf, zu­sam­men mit zwei Brü­dern und zwei Schwes­tern. Vor 1913 kam Ger­trud Ha­cken­broich nach Bre­men. Ihr spä­te­rer Mann, der Ma­schi­nen­tech­ni­ker Adolf Ha­cken­broich hat­te in der Han­se­stadt seit 1911 Ar­beit bei den At­las Wer­ken ge­fun­den. Die Hoch­zeit fand am 31. Au­gust 1913 in ih­rem Ge­burts­ort Nau­gard statt. Adolf Ha­cken­broich (geb. 11. Sep­tem­ber 1885 Neu-Oege/​Kreis Iser­lohn) war Ka­tho­lik. 1914 wur­de das ein­zi­ge Kind Horst ge­bo­ren.

Ab Au­gust 1914 nahm Adolf Ha­cken­broich am Feld­zug ge­gen Frank­reich teil, wur­de je­doch ab 1917 von den At­las Wer­ken an­ge­for­dert und von der Front ab­ge­zo­gen. Wäh­rend die­ser Zeit leb­te Ger­trud Ha­cken­broich mit ih­rem Sohn in Nau­gard/​Pom­mern.

Im Ok­to­ber 1918 er­öff­ne­te das Ehe­paar ein Fisch­ge­schäft in der ei­ge­nen Im­mo­bi­lie Stef­fens­weg 184 und war zu­nächst er­folg­reich. Mit der zu­neh­men­den Ju­den­het­ze An­fang der 1930er Jah­re, ging das Ge­schäft je­doch er­heb­lich zu­rück. Es war öf­fent­lich be­kannt, dass Ger­trud Ha­cken­broich jü­di­schen Glau­bens war.

Aus Si­cher­heits­grün­den soll­te sie nicht mehr im La­den be­die­nen. Das hat­te zur Fol­ge, dass das Ge­schäft ge­schlos­sen wer­den muss­te und Adolf Ha­cken­broich sich aus­schließ­lich auf sein Markt­ge­schäft be­schränk­te. Ob­wohl Ger­trud Ha­cken­broich nicht im Markt­ge­schäft tä­tig war, litt den­noch der Mark­stand un­ter Dis­kri­mi­nie­rung. 1938 sah Adolf Ha­cken­broich sich ge­zwun­gen die­ses Ge­schäft eben­falls auf­zu­ge­ben. Fort­an ar­bei­te­te er als Wa­gen­pfle­ger und Tank­wart, spä­ter als Kraft­wa­gen­fah­rer.

Die Jü­din Ger­trud Ha­cken­broich er­fuhr wei­ter­hin Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung, gleich­zei­tig be­wahr­te die Ehe mit ei­nem Nicht­ju­den sie zu­nächst vor Schlim­me­rem. Mit dem Trans­port nach The­re­si­en­stadt am 23. Juli 1942 soll­te Bre­men „ju­den­frei“ ge­macht wer­den, nur die in „Misch­ehe“ Le­ben­den, zu de­nen auch Ger­trud Ha­cken­broich zähl­te, wa­ren aus­ge­nom­men.

Das Haus am Stef­fens­weg wur­de bei ei­nem Bom­ben­an­griff zer­stört. Das Ehe­paar zog mehr­fach um und be­kam schließ­lich eine Not­woh­nung in der Ans­ba­cher Stra­ße 60. Als an­de­re Mie­ter des Hau­ses er­fuh­ren, dass Ger­trud Ha­cken­broich Jü­din sei, lehn­ten sie ein Zu­sam­men­le­ben un­ter ei­nem Dach ab und de­nun­zier­ten sie bei der Ge­sta­po mit zum Teil un­wah­ren Be­haup­tun­gen. Ver­schär­fend kam hin­zu, dass ihr Sohn Horst be­reits we­gen „Ras­sen­schan­de“ ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Bu­chen­wald in­haf­tiert war.

Die Ge­sta­po ver­haf­te­te Ger­trud Ha­cken­broich im Juni 1944. Die An­kla­ge lau­te­te auf „Stö­rung der öf­fent­li­chen Si­cher­heit“. Im Sep­tem­ber 1944 wur­de sie in das ol­den­bur­gi­sche Po­li­zei­ge­fäng­nis der Ge­sta­po in der Ste­din­ger Stra­ße 136 über­stellt. Haupt­wacht­meis­ter war dort der SS-Mann Erich Voß, durch den Ger­trud Les­ser Miss­hand­lun­gen er­fuhr, wie auch durch den Ge­fan­ge­nen­lei­ter Hein­rich Rath­mann. Im De­zem­ber 1944 soll­te sie nach Ausch­witz de­por­tiert wer­den. Bei der Ar­beit mit schwe­ren Holz­stäm­men hat­te sie sich je­doch im Ol­den­bur­ger La­ger den Mit­tel­fin­ger der rech­ten Hand ver­letzt. Auf­grund man­geln­der me­di­zi­ni­scher Ver­sor­gung zog sie sich eine Sep­sis zu und wur­de des­we­gen in Ber­lin aus dem Trans­port ge­nom­men und in das jü­di­sche Kran­ken­haus ge­bracht. Die Am­pu­ta­ti­on des Fin­gers war un­er­läss­lich ge­wor­den. Das Kran­ken­haus war für die All­ge­mein­heit ge­sperrt und schritt­wei­se in ein Ghet­to um­funk­tio­niert, be­zie­hungs­wei­se dien­te es als Sam­mel­la­ger zum Ab­trans­port von Ber­li­ner Ju­den in die Ver­nich­tungs­la­ger. Bis zur Be­frei­ung durch die Rote Ar­mee war Ger­trud Ha­cken­broich eine von ins­ge­samt 76 Ge­fan­ge­nen der dem Kran­ken­haus an­ge­glie­der­ten Po­li­zei­sta­ti­on.

Al­fred Ha­cken­broich war wie­der­holt auf­ge­for­dert sich von sei­ner jü­di­schen Frau schei­den zu las­sen. Sei­ne Wei­ge­rung führ­te am 30. Ok­to­ber 1944 zur Ver­haf­tung als „jü­disch ver­sipp­ter Volks­ge­nos­se“. Die Ge­sta­po über­stell­te ihn in das Arbeits- und Erziehungslager Farge und ver­leg­te ihn am 24. No­vem­ber in das Zwangs­ar­beits­la­ger nahe Al­feld. Ame­ri­ka­ni­sche Trup­pen be­frei­ten ihn.

Nach Ende des Krie­ges kehr­ten Adolf und Ge­trud Ha­cken­broich, so­wie der ge­mein­sa­me Sohn Horst zu­rück nach Bre­men. Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung hat­ten ihre Exis­tenz zer­stört, dazu kam der Ver­lust des Hau­ses im Stef­fens­weg 184 durch den Bom­ben­krieg. Das las­te­te schwer auf dem Ehe­paar. Nach we­ni­gen Jah­ren lie­ßen sie sich schei­den. Ger­trud Ha­cken­broich starb 1967 im Al­ter von 80 Jah­ren.

Ger­trud Ha­cken­broichs Schwes­ter Hil­da Lö­wen­thal wur­de mit Toch­ter und En­kel am 18. No­vem­ber 1942 ab Bre­men nach Minsk de­por­tiert und er­mor­det. Für sie lie­gen Stol­per­stei­ne in der Franz-Liszt-Stra­ße 11a.

Quellen:

StA Bre­men 4,54-E305; 4,54-E306; 4.54-Ra370; 7.500 Nr. 113; 4.13/​1 M.2.f.3. Nr. 802; Ein­woh­ner­mel­de­kar­tei
Stol­per­stei­ne Bre­men
Hoff­mann, Ka­tha­ri­na: „Aus­län­di­sche Zwangs­ar­bei­te­rIn­nen in Ol­den­burg wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges. Eine Re­kon­struk­ti­on der Le­bens­ver­hält­nis­se“, Dis­ser­ta­ti­on, Ol­den­burg 1999
Wi­ki­pe­dia: Jü­di­sches Kran­ken­haus Ber­lin (Zu­griff 2022)
https://www.om-online.de/om/von-der-kalbermarsch-ins-oldenburger-kz-35173
http://oops.uni-oldenburg.de/387/1/420.pdf
Bild­ma­te­ri­al: Kul­tur­haus Wal­le Bro­del­pott

Veröffentlicht am und aktualisiert am 9. Januar 2023

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