Jules Matthys: einer der „Acht von OIP“

Julius Matthys
Eidesamtliche Erklärung
23. April 1945
Bahrsplate, Bremen-Blumenthal

Jules Matthys, geboren am 13. April 1905, lebte mit seiner Familie in Lokeren in die Nähe von Gent/Belgien. Jules Matthys arbeitete Anfang des Jahres 1940 in Gent in der „OIP“ („Société Belge, d’Optique et d’Instruments de Precision“), eine Fabrik zur Herstellung von optischen Geräten. Diese Geräte waren von militär-strategischer Bedeutung. Auf Grund der drohenden Invasion Nazi-Deutschlands beschließt die Belgische Regierung Anfang Mai 1940 deshalb die Verlagerung der Produktion, samt Maschinen und Belegschaft, nach Frankreich. Auch Matthys zieht mit seiner Familie nach Bussières an der Loire um, wo die Produktion in alten Fabriksgebäuden wieder aufgenommen werden soll. Doch dann wird auch Frankreich von den deutschen Truppen überrollt. Die Besatzungsmacht ordnet die Rückkehr sämtlicher Maschinen zurück nach Gent an. Matthys kehrt, wie viele seiner Kollegen, ebenfalls zurück nach Gent. Mai 1941 übernehmen die Heyde Werke aus Dresden die „OIP“ und liefern ihre Produkte an die deutsche Wehrmacht.

Matthys beschließt irgendwann in der Zeit nach der Übernahme durch die Heyde Werke mit sieben seiner Kollegen eine Widerstandsgruppe aufzubauen. Sie nennt sich in einem original erhaltenen Dokument „Widerstandsgruppe Betriebsmiliz, Patriotische Miliz, Vaterländische Miliz“. Die Gruppe schließt sich der „Unabhängigkeitsfront“ an, einem von der belgischen kommunistischen Partei initiierten Dachverband verschiedenster Widerstandsgruppen von Gewerkschaftlern, Jugendorganisationen, jüdischen Gruppierungen etc.

Am 12. August 1944, nur wenige Tage vor der Befreiung Belgiens durch die alliierten Truppen, fliegt die Gruppe auf. Die Feldpolizei verhaftet alle acht Mitglieder und steckt sie ins Gefängnis in Gent. Von dort werden sie mit Brauerei-LKW’s nach Antwerpen gebracht und anschließend per Zug nach Neuengamme. Nach ihrer Registrierung im KZ Neuengamme werden sie nach Bremen gebracht, wo die acht Häftlinge mit vielen anderen belgischen Leidensgenossen im Lager Blumenthal auf der Bahrsplate untergebracht werden. Die KZ-Nummer von Jules Matthys war NG44935. Sie werden zu schwerer körperlicher Arbeit auf der Deschimag Schiffswerft gezwungen. Manche von ihnen sterben bereits in Blumenthal an den Folgen der Sklavenarbeit. Als die Alliierten 1945 immer mehr auf Bremen zu marschieren, beschließt die SS in April sämtliche KZ-Häftlinge zu Fuß auf einen Todesmarsch nach Neuengamme zu schicken. Als aber auch hier die Alliierten anrücken, werden die Häftlinge an die Lübecker Bucht getrieben, wo man sie auf die Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbeck“ verfrachtete. Matthys und einige seiner Kameraden wurden hingegen auf die im Hafen von Neustadt/Schleswig Holstein liegende „Athen“ verlagert. Dort starb Matthys, gerade 40 Jahre alt, am 23. April 1945 in den Armen seiner beiden belgischen „OIP“ Kameraden Alfons De Vlieger und Willy Dekeghel an mangelnder Ernährung und seinen Entbehrungen während der Haft. Nach seinem Tod wird sein Leichnam, ebenso wie der von vielen seiner Kameraden, von der SS ins Wasser geworfen. Nie wurde geklärt, ob sein Leichnam nachher noch aufgefunden und in einem Sammelgrab auf dem Vorwerk Friedhof in Lübeck vergraben wurde.

Alle drei Schiffe wurden wenig später, am 2. Mai 1945, von britischen Flugzeugen angegriffen, wobei die „Cap Arcona“ und die „Thielbeck“ auf offenem Meer versenkt wurden. Es ist bisher nicht deutlich, ob die Briten wussten, dass sich KZ-Häftlinge an Bord befanden. Möglicherweise gingen sie von der Flucht deutscher Wehrmachts- und SS-Truppen aus. Tausende Häftlinge verloren jedenfalls bei diesem Angriff ihr Leben. Die „Athen“ wurde im Hafen von Neustadt zwar schwer beschädigt, aber versank nicht.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts fing Alfons Matthys, Sohn von Jules, an, das Schicksal seines Vaters aufzuklären. Auf Grund seiner Recherchen wurden in Gent die sechs gestorben Widerstandskämpfer der „OIP“ mit einem „Stolperstein“ in der Meersstraat 138, wo sich früher das Werk befand, geehrt.
September 2019 erschien von Alfons Matthys eine ausführliche schriftliche Dokumentation in niederländischer Sprache mit dem Titel „Jules Matthys en de 8 van OIP“. Vom Buch ist jeweils ein Exemplar vorhanden in der KZ Gedenkstätte Neuengamme sowie im Denkort Bunker Valentin.

Bildmaterial: Das eine Foto zeigt Jules Matthys. Es wurde von seinen ehemaligen Nachbarn eingerahmt. Das andere zeigt die eidesamtliche Erklärung von Alfons De Vlieger und Willy Dekeghel, die hiermit den Tod von Jules Matthys „in ihren Armen“ auf der „Athen bekunden.

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