Lloyd-Bahnhof, das Deportationengleis für Juden und Sinti

Ehemaliger Lloyd Bahnhof, Theodor Heuss Allee 2 (2021)
27. Oktober 1938
Willy-Brandt-Platz/Gustav-Deetjen-Allee, Bremen

Der Lloyd-Bahnhof am Hauptbahnhof wurde 1913 vom Norddeutschen Lloyd erbaut. Er war für die Passagier- und Gepäckabfertigung der Auswanderer erschaffen worden, die in Bremerhaven die Überseeschiffe besteigen wollten. Durch einen Tunnel gelangten sie direkt zu den Bahnsteigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich der Hauptsitz der Reederei im Gebäude, die 1970 mit der HAPAG zur Hapag-Lloyd fusionierte. Der Konzernsitz wurde 1982 nach Hamburg verlegt. Während des NS-Regimes wurde der Lloyd-Bahnhof zur Abwicklung von Deportationen der jüdischen Bevölkerung sowie der Sinti und Roma genutzt.

Vom 27.-29. Oktober 1938 fand die Abschiebung der Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit („Polenaktion“) aus dem Deutschen Reich statt. Polen wollte allen Staatsangehörigen, die seit über fünf Jahre nicht mehr im Land lebten, die Staatsangehörigkeit entziehen, wenn deren Pässe nicht bis zum 29. Oktober 1938 in einem Konsulat einen Kontrollvermerk erhielten. Das nahm die Deutsche Reichsregierung zum Vorwand, die polnischen Juden unter Leitung der Gestapo abzuschieben. In Bremen begannen die für die Betroffenen völlig unerwarteten Verhaftungen am 27. Oktober. Die Menschen wurden in ein Untersuchungsgefängnis eingeliefert oder in der Abfertigungshalle des Lloyd-Bahnhofs zusammengetrieben. Am Morgen des 28. Oktober verließ ein Zug mit 80 Personen aus Bremen und einer unbekannten Anzahl aus dem Umland den Bahnhof. Er fuhr über Berlin nach Fraustadt/Oberschlesien zur polnischen Grenze. Dort wurden die Abgeschobenen über die Grenze nach Leszno geleitet. Ihnen war lediglich die Mitnahme von 10 RM und Handgepäck erlaubt worden, Einigen wurde selbst dies verwehrt.

Die Abgeschobenen kehrten vielfach in ihre ursprünglichen polnischen Heimat- oder Geburtsorte zurück oder kamen anfangs in Sammellager in den größeren Städten unter. Nach Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen, durften Anfang 1939 Abgeschobene für kurze Zeit wieder einreisen, um den Verbleib ihres hinterlassenen Eigentums zu regeln. Nach der Besetzung Polens durch Nazideutschland fielen sie mehrheitlich der Judenvernichtung zum Opfer. Von einigen ist bekannt, dass sie zuvor in Ghettos leben mussten. Überwiegend verliert sich ihre Lebensspur im Ungewissen. Von 19 Personen, die aus Bremen abgeschoben worden waren, ist die Einweisung in ein KZ bekannt, davon überlebten vier; 13 Personen gelang die Flucht ins Ausland.

Die größte Judendeportation aus Bremen fand am 18. November 1941 statt. 443 jüdische Bremer Bürger*innen wurden in das Ghetto Minsk deportiert, hinzu kamen 130 Personen aus dem Regierungsbezirk Stade. Am Tag zuvor mussten sie sich in der Lettow-Vorbeck-Schule (heute Hermann-Böse-Gymnasium) oder in der Carl-Peters-Schule (heute Oberschule am Barkhof) einfinden oder wurden dorthin verbracht. Am nächsten Morgen wurden sie in kleinen Gruppen zum Lloyd- Bahnhof geführt. Der Zug fuhr, von Wachpersonal begleitet, mit ca. 570 Personen um 8:40 Uhr aus Bremen ab und traf gegen 11:30 Uhr im Hannöverschen Bahnhof in Hamburg ein. Dort wartete ein Zug mit ca. 408 Hamburger Juden auf die Weiterfahrt. Die zusammengekoppelten Züge trafen am 22. November 1941 in Minsk ein. Von den Bremer Deportierten überlebten nur sechs Männer.

Die zweite größere Judendeportation, die am 23.7.1942 mit 163 Personen in das Ghetto Theresienstadt führte, wurde über den Güterbahnhof abgewickelt. Am 13. Februar 1945, also bis kurz vor Ende des NS-Regimes wurden noch weitere 55 Juden nach Theresienstadt deportiert. Ein letzter Transport kam nicht mehr zustande.

Ab 9. März 1943 fuhren drei Transportzüge mit über 300 Sinti und Roma, darunter ganze Familien, vom Lloyd Bahnhof ab. Zuvor hatte man sie in einer Halle des Schlachthof auf der Bürgerweide gesammelt. Der erste Deportationszug wurde vom Leiter der Kripoleitstelle Nordwest, Wilhelm Mündtrath, geleitet, der zweite vom Kriminalsekretär Ließann und der dritte vom Kriminalangestellten Knaack.

Bevor der eine Teil des Hauptbahnhofs also zum Startpunkt der Massenvernichtung von Juden, Sinti und Roma wurde, wurde auf der anderen Seite, dem Bahnhofsvorplatz, zwischen 1940 und 1942 ein gewaltiger Bunker gebaut, der dem Schutz der Bremer Bevölkerung vor alliierten Bombenangriffe diente. Geplant war er für 900 Personen, tatsächlich fanden hierin manchmal bis zu 4.000 Personen Schutz.

Quellen: Peter Christoffersen, „Am Donnerstag abend kamen zwei von der Gestapo“ – Die Abschiebung der Bremer polnischen Juden im Oktober 1938 (unveröffentl. Manuskript 2021). Erscheint 2022 in: Christof­fer­sen, Pe­ter/​Johr, Bar­ba­ra (Hrsg.): Stol­per­stei­ne in Bre­men,  Band 7
Hans Hesse/Jens Schreiber, „Vom Schlachthof nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland“, Tectum Verlag 1999
Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen Taten barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Gedenkbuch zur NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland, Teil 2, Bremen 2022, S. 39-43.

Bild Lloyd Bahnhof: Amt für Denkmalschutz Bremen

Veröffentlicht am und aktualisiert am 25. Mai 2023

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