Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in den Francke Werken

Baustelle Francke Werke am Seelande
Baustelle Francke Werke Seelande, Jahr unbekannt
Werkschutz Francke Werke am 1. Mai 1935
Werkschutz FranckeWerke am 1.Mai 1935
1. August 1942
Richard-Dunkel-Straße (bis 1954 Vulkanstraße), Bremen

Der aus Magdeburg stammende Klempnermeister Carl Wilhelm Francke zog 1871 nach Bremen und gründete 1872 am Philosophenweg eine Installationswerkstatt für Gas- und Wasserleitungen. In der Neustadt baute er bereits 1875 eine größere Betriebsstätte in der Bachstraße auf.
Die Francke Werke expandierten weiterhin: Sie installierte nun u.a. in größeren Gebäuden komplette Leitungssysteme (Gas, Wasser, Heizung und Kanalisation) und stellten zunehmend die dafür benötigte öffentliche Infrastruktur her. Außerdem bauten sie überregional Gaswerke und Anlagen für die Verwertung der dabei entstehenden „Nebenprodukte“ (u.a. Koks, Teer, Ammoniak). 1904 erwarb Carl Francke am damaligen Stadtrand im Seefelde, nahe des Hakenburger Sees, ein größeres Grundstück, wo ab 1907 der Firmensitz war[1]. Aufträge kamen aus Europa, aber auch aus Asien[2].

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges waren Exporte nicht mehr möglich. Der Anlagenbau für die Herstellung, den Transport und die Lagerung von Wasserstoff für die Luftschiffflotte (Zeppeline) wurde im Auftrag des Preußischen Kriegsministeriums erweitert. Außerdem beteiligte sich die Firma an der kriegswichtigen Granatenproduktion, für die eine eigene Presserei eingerichtet wurde.
Spätestens seit April 1916 wurden bei den Francke Werken französische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt[3]. Für deren Unterbringung wurde auf dem Nachbargrundstück[4] das Wohnhaus zu einem Lager umgebaut und um ein Pförtnerhaus erweitert, um eine Kontrolle über die Gefangenen sicher zu stellen[5].

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Vorkriegsproduktion wieder aufgenommen. 1921 wurden die Francke Werke, mit erheblicher finanzieller Unterstützung durch ihre Hausbank, in eine „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ umgewandelt. Der Firmengründer zog sich daraufhin zurück – seine Söhne und sein Schwiegersohn Richard Dunkel[6] blieben aber weiter in der Firma engagiert[7]. 1925 erfolgte schließlich die Umwandlung der Francke Werke in eine Aktiengesellschaft[8]. In der Weltwirtschaftskrise gab es erhebliche Verluste. 1931 wurden die Francke Werke von der mit Hilfe des Deutschen Reiches und Bremens[9] als Auffanggesellschaft gegründeten „Norddeutsche Kreditbank AG“ übernommen. Damit waren die Francke Werke endgültig kein Familienunternehmen mehr, sondern faktisch in Staatsbesitz. Als sie 1937 jedoch wieder Gewinne erzielten, erwarb ein Konsortium von ca. 30 Bremer Anlegern die Anteile.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bestimmten diese ab 1933 die Geschäftspolitik. Die Francke Werke erhielten zahlreiche Aufträge im Rahmen der nationalsozialistischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Munitionspressen[10] aus dem Ersten Weltkrieg wurden reaktiviert und die Firma nahm unter dem Decknamen „Pressbau“ am geheimen Aufrüstungsprogramm der neuen Machthaber teil[11]. Siehe Lageplan des Betriebsgeländes. Bereits 1934 wurden wieder Granaten produziert. Außerdem wurde für die Luftwaffe auf dem Gelände eine Reparaturwerkstatt für Flugzeugmotoren eingerichtet. Auch baute man eine ganze Reihe militärischer Flugplatzanlagen. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges stieg der Anteil der rüstungsrelevanten Aufträge auf mehr als die Hälfte des Umsatzes[12].

Entsprechend der herrschenden Nazi-Ideologie wurde der als Kaufmann im Werk tätige Leo Duchowny aus Findorff (Stolpersteine Bremen) 1936 aus „rassischen Gründen“ auf Grund seines jüdischen Glaubens entlassen[14].
Ein anderes Schicksal ereilte Wilhelm Dierks. Der 1900 Geborene war Mitglied der SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend). Ab 1940 war er in den Francke Werken als Maler tätig. Als er sich im Betrieb kritisch zur Beschäftigung polnischer Zwangsarbeiter äußerte, wurde er von der Gestapo verwarnt. Als er sich jedoch gegenüber einem Freund seines Sohnes kritisch zu dessen freiwilliger Meldung zur SS, dem Töten im Krieg und dem Einsatz der Propaganda zu den Toten im Wald von Katyn äußerte, wurde er vom Vater des Freundes denunziert und kam wegen Wehrkraftzersetzung ab 26. Juni 1943 in Untersuchungshaft, wurde jedoch wegen Haftunfähigkeit am 2. August 1943 beurlaubt. Mit dem drohenden Todesurteil vor Augen floh er mit seiner Frau am 6. Januar 1944 in die Schweiz und kehrte erst nach Kriegsende zurück. [15].

Als für die Produktion mehr Arbeitskräfte benötigt wurden, wurden ab 1940 und ab 1. Januar 1943 Strafgefangene aus Oslebshausen bei den Francke Werken beschäftigt. Sie wurden untergebracht in einem eigenen Lager an der Warturmer Heerstraße, später dann im „Strafgefangenenlager Neuenlanderstraße“. Gleichzeitig forderten die Francke Werke zusätzlich ausländische Arbeitskräfte an. Als kriegswichtiger Betrieb erhielt man sowohl zivile Arbeiter aus den besetzten Gebieten, wie Frankreich und Polen, als auch sowjetische Kriegsgefangene. Dazu wurden auf dem Betriebsgelände bzw. benachbarten Grundstücken verschiedene Lagerstätten eingerichtet. Dies waren u.a.:

  • Lager für sowjetische Kriegsgefangene am Ochtumdeich/Duckwitzstraße.
  • Lager Krützfeld (1941-1945), am Reedeich 19. Das Arbeitskommando befand sich in der Schankwirtschaft von Christian Krützfeld. Dort waren bis 1943 50 französische Kriegsgefangene untergebracht. Im gleichen Jahr wurde ein Arbeitslager Krützfeld mit der gleichen Insassenanzahl, diesmal Polen und Franzosen, gelistet. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um dieselbe Unterkunft, aber nicht mehr um Kriegsgefangene, sondern um Zivilarbeiter, die ebenfalls in den Francke Werken beschäftigt wurden.
  • Gemeinschaftslager „Storchennest“/Reedeich der Francke Werke. Das Lager befand sich von 1941-1945 hinter der Gaststätte „Storchennest“ und wurde für unterschiedliche Zwecke und Häftlingsgruppen genutzt. Ab Februar 1943 erfolgte die Unterbringung von zivilen Zwangsarbeitern aus Belgien, Niederlanden, Frankreich und möglicherweise auch aus der Tschechoslowakei. Sie wurden alle in den Francke Werken beschäftigt. Bis zum 28. März 1943 wurde es noch von der DAF (Deutsche Arbeiter Front) betrieben, anschließend erfolgte am 6. April 1943 die Übergabe an die Francke Werke, in Person des Prokuristen Herrn Benning.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnten die Francke Werke ihren Betrieb wieder aufnehmen. Schwerpunkt war zunächst die Reparatur von Kriegsschäden in der Stadt. Die Militärregierung berief zwei Vorstandsmitglieder aus der NS-Zeit ab[16]. Der bisherige Betriebsleiter[17] musste im Zuge seiner „Entnazifizierung“ zunächst als „Schrottarbeiter“ in der Fabrik von Carl Katz[18], der als Jude verfolgt worden und nun Vorsitzender der Israelitischen Gemeinde in Bremen war, arbeiten[19]. Bereits Juli 1953 wurde der ehemalige Leiter eines Kriegsgefangenenlagers der Francke Werke, Johannes Meier aus Hasbergen, von der französischen Justiz begnadigt und vorzeitig aus der Haft in Wittich entlassen. Meier war wegen Mordes an einem französischen Kriegsgefangenen im Jahre 1944 nach dem Krieg zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden.

Nach der Währungsreform 1948 drohten den Francke Werken hohe Verluste, zu deren Abwendung im Frühjahr 1951 Konkurs[20] angemeldet wurde[21]. Mit Ausnahme der Gebäude südwestlich der Richard-Dunkel-Straße wurde das Werksgelände der früheren Francke Werke für den Bau der A281/Kreuzung B75 in Anspruch genommen, die Gebäude zwischen der Richard-Dunkel- und der Carl-Francke-Straße wurden 1997 abgerissen. Ein Teil des alten Baumbestandes aus dem parkähnlichen Garten, den Carl Francke anlegen ließ, ist erhalten geblieben und steht am sog. „Kocks-Knoten“.

[1] Hier wurden ein Verwaltungsgebäude, eine große Fertigungshalle, eine Tischlerei und ein eigenes Kraftwerk errichtet (Schneller, Sabine: Die Francke Werke 1872 – 1945, in: Schneller, Sabine und Ebert, Hildtrud, Die Geschichte der Unternehmen der Kranunion, Leipzig, 2013; S. 223 ff.)
[2] Die F.W. unterhielten Niederlassungen in mehreren europäischen Hauptstädten sowie in Konstantinopel, Bombay und Kobe (Japan) (Schneller, ebda.)
[3] viele Facharbeiter waren als Soldaten im Krieg, und trotz der Dienstverpflichtung von Frauen fehlten Arbeiter für die Produktion (s. Schneller, Francke Werke, S. 228)
[4] Das Gelände der ehemaligen Dampfziegelei Bollmann
[5] s. Schneller, S. 228.
[6] Richard Dunkel war vor der „Machtergreifung“ Hitlers ein bekannter Politiker in Bremen (Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, DDP) und bis 1930 Präsident der Bremer Nationalversammlung bzw. der Bremischen Bürgerschaft
[7] Ebda., S. 228 ff.
[8] Die formale Liquidation der A.G. erfolgte im September 1957, wirtschaftlich wurde die „Francke Werke GmbH“ seit 1952 durch Friedrich Kocks geführt, ab 1954 als „Friedrich Kocks GmbH“, s. Schneller, Sabine: Kocks 1945 – 1989, in: Schneller/Ebert (s.o.), S. 252 ff
[9] Schneller, Francke Werke, S. 244
[10] Pfliegensdörfer, Dieter, Vom Handelszentrum zur Rüstungsschmiede, 2. Aufl., Bremen 1987, S. 208
[11] Ebda. sowie Schneller, Francke Werke, S. 244
[12] Ebda, S. 246; Pfliegensdörfer, S. 210
[13] Ist entfallen!
[14] „Stolpersteine in Bremen – Findorff/Walle/Gröpelingen“ S. 91, Sujet Verlag Bremen
[15] Nach dem Krieg meldete Wilhelm Diers aus Australien Wiedergutmachungsansprüche bei dem zuständigen Bremer Amt an.
[16] Weser-Kurier vom 01.12.1945, S. 4
[17] anschließend (ca. ab 1947) war er bis 1967 Geschäftsführer bei der Friedr. Kocks GmbH.
[18] Weitere Informationen über Carl Katz unter   https://www.staatsarchiv.bremen.de/sixcms/media.php/13/Bremisches%20Jahrbuch%20Bd.%20101%20Frank%20Mecklenburg%20-%20Carl%20Katz_.pdf 
[19] Czichon, Günther, Zwischen den Stühlen. Berufsjahre von 1955 bis 1977, Lebenserinnerungen Bd. 2, Typoskript, Bremen 2006, Staatsarchiv Bremen StAB, 7.500, 363, S. 45 + 47
[20] Schneller, Kocks, S. 253 ff
[21] Bei der Abwicklung konnten die Forderungen der Gläubiger zu 100% befriedigt werden, s. Weser-Kurier vom 30.12.1954, Seite 5

Weitere Texte zur Situation von Zwangsarbeiter*innen stehen hier zum Download bereit:

  • Arbeitskräftemangel vor dem Krieg PDF
  • Bremen als Rüstungsstandort PDF
  • Arbeitskräftebedarf und Ausländereinsatz im Krieg PDF
  • Vergessene Opfer PDF
Veröffentlicht am und aktualisiert am 7. Mai 2023

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