Au­ßen­kom­man­do „Schüt­zen­hof“

Bild über Inschrift der Denkmaltafel am Schützenhof
Denkmaltafel - Schützenhof
Bild vom Zeitzeugen René Thirion
Zeitzeuge René Thirion
Schützenhof Gröpelingen
Schützenhof_Gröpelingen_Claudia Bade
8. April 1944
Brom­ber­ger Stra­ße 117, Bre­men

Ur­sprüng­lich war der „Schüt­zen­hof“ ein Aus­flugs- und Ver­gnü­gungs­ort vor den To­ren der Stadt. 1907 er­rich­te­te die Bre­mer Schüt­zen­gil­de von 1904 e.V. dort  eine Schieß­an­la­ge und eine Gast­stät­te. Nach ei­ner zwangs­ver­füg­ten Übe­reig­nung des Ge­län­des der Bre­mer Schüt­zen­gil­de wur­den dort mit Kriegs­be­ginn am 1. Sep­tem­ber 1939 über 250 in­di­sche See­leu­te der Deut­schen Dampf­schiff­fahrts­ge­sell­schaft Han­sa in­ter­niert. Als Com­mon­wealth-An­ge­hö­ri­gen gal­ten sie als Brit­ten. Sie wa­ren im Früh­som­mer 1939 in Kal­kut­ta und Bom­bay an­ge­wor­ben wurden und auf deut­schen Schif­fen ein­ge­setzt. Am 14. Fe­bru­ar 1940 wur­den sie in die Nie­der­lan­de ab­ge­scho­ben.

Im Mai 1940 wur­den im Sam­mel­la­ger „Schüt­zen­hof“ Sinti und Roma aus dem ge­sam­ten We­ser-Ems-Ge­biet der Kri­po­leit­stel­le Bre­men in­ter­niert, be­vor sie über Ham­burg zum spä­te­ren Ver­nich­tungs­la­ger Bel­zec in Po­len de­por­tiert wur­den. Wäh­rend min­des­tens 89 Sin­ti und Roma von Bre­mer­ha­ven aus di­rekt nach Ham­burg de­por­tiert wur­den, sind na­ment­lich 42 Op­fer be­kannt, die über den Schüt­zen­hof nach Ham­burg und dann nach Po­len de­por­tiert wur­den.

An­schlie­ßend dien­te das Ge­bäu­de als Un­ter­brin­gungs­ort für pol­ni­sche zi­vi­le Zwangs­ar­bei­ter der Bre­mer Stadt­wer­ke. Die pol­ni­schen Zwangs­ar­bei­ter wa­ren ge­zwun­gen ein Kenn­zei­chen mit der Buch­sta­be „P“ auf der rech­ten Brust zu tra­gen. Das La­ger dien­te au­ßer­dem der Un­ter­brin­gung der II. SS-Baub­ri­ga­de, be­ste­hend aus 250 KZ Häft­lin­gen.
Ok­to­ber 1943 wur­de der Schüt­zen­hof bei ei­nem Bom­ben­an­griff zer­stört. Auf den Res­ten wur­den neue Ba­ra­cken auf­ge­baut. Be­reits in Ja­nu­ar 1944 wur­den in den neu­en Ba­ra­cken Häft­lin­ge, die di­rekt aus dem KZ Neu­eng­am­me bei Ham­burg ka­men, un­ter­ge­bracht. Ab Weih­nach­ten 1944 wur­den zu­sätz­lich etwa 600-700 KZ-Häft­lin­ge aus dem Außenlager Bahrs Plate (Blu­men­thal), die bis da­hin täg­lich mit dem Schiff zu ih­rer Ar­beit auf der DE­SCHI­MAG (A.G. We­ser) be­för­dert wur­den, in den Schüt­zen­hof un­ter­ge­bracht, 30 Män­ner auf 5 mal 5 Me­tern. Auf der AG We­ser muss­ten sie Ble­che stan­zen, Tei­le für Schiffs­mo­to­ren fer­ti­gen oder Gra­na­ten­roh­lin­ge dre­hen. Das von der DE­SCHI­MAG ein­ge­rich­te­te La­ger, das nun­mehr ein Au­ßen­la­ger des KZ Neu­eng­am­me war, wur­de über­wacht von der SS.

1.054 Neu­eng­am­me-Häft­lin­ge aus 17 Na­tio­nen durch­lie­fen die­ses Au­ßen­la­ger in Grö­pe­lin­gen, dar­un­ter 464 Ju­den aus Un­garn, Po­len oder Staa­ten­lo­se, 265 So­wjet­bür­ger, 144 Bel­gi­er, 55 Fran­zo­sen. 257 von ih­nen star­ben laut To­ten­buch von Neu­eng­am­me in et­was mehr als drei Mo­na­ten am Man­gel­er­näh­rung, Ent­kräf­tung oder Miss­hand­lun­gen bei ei­nem zehn­stün­di­gen Ar­beits­tag. Der Schüt­zen­hof hat­te die höchs­te Tö­tungs­ra­te sämt­li­cher über 400 La­ger in Bre­men.

Am 7. und 8. April 1945 be­gann für die 582 ver­blie­be­nen KZ-Häft­lin­ge der zehn­tä­gi­ge To­des­marsch über Far­ge-Re­kum nach Neu­eng­am­me, bzw. mit ei­nem Zug nach Ber­gen-Bel­sen (letz­te­res be­traf die jü­di­schen Häft­lin­ge, so­wie kran­ke Häft­lin­ge). Die­ser Zug er­reich­te sein Ziel je­doch nicht, son­dern lan­de­te schließ­lich in Sand­bos­tel, wo die Über­le­ben­den am 29. April 1945 von bri­ti­schen Trup­pen be­freit wur­den. Vie­le der rest­li­chen Häft­lin­ge, die sich auf dem To­des­marsch be­fan­den, fan­den bei der Bom­bar­die­rung der KZ-Schif­fe Kap Ar­co­na oder Thiel­beck in der Nacht vom 3. zum 4. Mai in der Ost­see den Tod, auf die sie mit tau­sen­den wei­te­rer Neu­eng­am­me-Häft­lin­ge ge­trie­ben wor­den wa­ren.
Bei der Ein­nah­me Bre­mens durch die bri­ti­schen Trup­pen am 26./​27. April 1945 fan­den sie ei­nen lee­ren Schüt­zen­hof vor. Spä­ter wur­den in den Ge­bäu­den Ar­bei­ter der AG We­ser mit ih­ren Fa­mi­li­en un­ter­ge­bracht. Auch der Schüt­zen­gil­de nahm ihre Ver­eins­ar­beit auf dem Ge­län­de wie­der auf. Mitt­ler­wei­le sind auf dem Ge­län­de so­wohl der Schüt­zen­gil­de wie Hand­werk­be­trie­be an­ge­sie­delt.

Eine ers­te Ge­denk­ta­fel für die Op­fer wur­de am 29. April 2002 an der Mau­er ne­ben dem heu­ti­gen Schüt­zen­hof ein­ge­weiht (sie­he Bild). Eine zwei­te folg­te am 29. Au­gust 2004. In drei Spra­chen er­in­nert sie an die To­ten aus dem bel­gi­schen 900 See­len-Dorf Meen­sel-Kie­ze­gem, 40 km von Brüs­sel. Bei zwei Raz­zi­en flä­mi­scher SS un­ter deut­schem Kom­man­do wur­den 98 Be­woh­ner lis­ten­mä­ßig se­lek­tiert und zu Ver­hö­ren durch den Si­cher­heits­dienst nach Lö­wen und Brüs­sel ge­bracht. 68 von ih­nen wur­den Ende Au­gust 1944 ins KZ Neu­eng­am­me de­por­tiert, zwei­und­zwan­zig Dorf­be­woh­ner ka­men in die Au­ßen­kom­man­dos Blu­men­thal und Schüt­zen­hof, nur fünf über­leb­ten.

Mehr über die KZ-Häft­lin­ge auf der Werft fin­det man in ei­nem Originaldokument der Ge­schichts­werk­statt Grö­pe­lin­gen. Au­ßer­dem eine un­da­tier­te Rede von René Thirion (sie­he Bild), ehem. bel­gi­scher Häft­ling des La­gers „Schüt­zen­hof“.

Quelle: u.a. Hans Hes­se und Jens Schrei­ber „Vom Schlacht­hof nach Ausch­witz“, Tec­tum Ver­lag Mar­burg 1999 S. 90/​92, so­wie die aus­führ­li­che Do­ku­men­ta­ti­on von Uta Hal­le und Ul­ri­ke Huhn „Bre­men-Grö­pe­lin­gen, Brom­ber­ger Stra­ße 117: Schüt­zen­hof – In­ter­nie­rungs­la­ger – Po­len­la­ger – KZ-Au­ßen­la­ger – Wohn und Ar­beits­ort“ aus dem Jahr 2019.

Bild: Ak­tu­el­les Bild des Schüt­zen­ho­fes aus 2015, freund­li­cher­wei­se von Clau­dia Bade zur Ver­fü­gung ge­stellt.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 24. Mai 2024

Kom­men­tie­ren Sie den Bei­trag

Ihre E-Mail-Adres­se wird nicht ver­öf­fent­licht. Er­for­der­li­che Fel­der sind mar­kiert *

*

Zeitauswahl
  • 1933
  • 35
  • 37
  • 39
  • 41
  • 43
  • 1945
1940 - 1944
19401944
Themen
  • Arbeitslager
  • Ereignis
  • Jugend
  • Nazi-Organisation
  • Person
  • Verfolgung
  • Widerstand
  • Alle Kategorien aktivieren
Stadtteil