Heinrich Weidemann: NS-Bischof von Bremen

Weidemann_Pastorenbuch
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30. Juni 1934
Am Dom, Bremen

Warum hat die Bremische Evangelische Kirche keinen Bischof wie andere Landeskirchen?
Sie hatte mal einen, aber der hat ihr gereicht bis heute: Er hieß Heinrich Weidemann (1895-1976) und war ein Paradebeispiel für eine narzisstische Persönlichkeit. Steigbügelhalter waren für ihn die Nationalsozialisten, doch auch in der damaligen Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) fand er Anhänger. Nur mit Mühe konnten ihn die selbstbewussten evangelischen Gemeinden in der Hansestadt wieder loswerden. Auf strikten Konfrontationskurs zu Weidemann gingen vor allem die drei Bremer Gemeinden St. Stephani, Immanuel und Unser Lieben Frauen.

Geboren wurde Heinz Weidemann 1895 in Hannover. Er studierte in Göttingen evangelische Theologie und wurde dort Inspektor des Theologischen Stifts sowie Assistent der theologischen Fakultät, 1925 Pastor in Bremke bei Göttingen, 1926 am St. Petri Dom in Bremen, wo er dank seiner rhetorischen Begabung starken Zulauf hatte. Zeitgenossen bezeichneten ihn als „mitreißenden Prediger“, aber auch als „eitlen Fent“ und von Ehrgeiz getrieben. Überliefert ist die Aussage, Weidemann predige „mit dem Kruzifx in der einen und der Handgranate in der anderen Hand“. Überliefert ist aber auch die Geschichte mit der Dom-Organistin Käte van Tricht: Sie habe, als Weidemann wieder einmal nicht aufhören wollte, von artgemäßem Christentum zu reden, so laut und anhaltend georgelt, dass er nicht mehr zu Wort kam.

Bereits 1933 trat Weidemann in die NSDAP und in die Glaubensbewegung der „Deutschen Christen“ (DC) ein. Er wurde DC-Führer und suchte die Nähe des damaligen NS-Bürgermeisters und Kommissars für die BEK, Otto Heider (1896-1960). Mit dessen Hilfe gelang es ihm auf einem außerordentlichen Kirchentag am 24. Januar 1933 durch ein „Landesbischofsgesetz“, Bischof in Bremen zu werden. Die Verfassung der BEK von 1920, die den Gemeinden die Glaubens-, Lehr- und Gewissensfreiheit garantierte, wurde damit umgeworfen. Als ein Viertel der Anwesenden diesen Handstreich blockieren wollte, erklärte Heider kraft seiner staatlichen Kommissarsgewalt: „Sämtliche Gemeindeordnungen und sämtliche Organe der Kirche sind hiermit außer Kraft gesetzt“. Damit und mit einem „Kirchengesetz über die Leitung der BEK“ vom 15. Juni 1934 war das demokratische Organ Kirchentag praktisch aufgelöst. Am 30. Juni 1934 wurde Weidemann als Bischof der BEK eingeführt.

Im gleichen Monat schloss sich in Bremen eine Bekenntnisgemeinschaft zusammen, die versuchte, sich den Nationalsozialisten und dem Bischof von NS-Gnaden entgegenzustellen: Am 4. Juni hatte der St. Stephani-Pastor Gustav Greiffenhagen auf einer mit rund 200 Menschen überfüllten Versammlung im Haus des Liebfrauen-Vorstands Karl Stoevesandt Bericht erstattet über die Gründungsversammlung der Bekennenden Kirche in Berlin-Dahlem Ende Mai 1934. Greiffenhagen wurde daraufhin am 7. Juni suspendiert. Die Gemeinde stellte sich jedoch quer, mit einer Resolution von 200 Mitgliedern wurde die Rücknahme dieser Entscheidung gefordert, da Greiffenhagen von der Gemeinde rechtskräftig gewählt worden sei. Der Pastor übte sein Amt weiter aus. Eine Disputation zwischen Immanuel-Pastor Friedrich Denkhaus und Weidemann am 24. August 1934 verlief ergebnislos: Denkhaus habe „höflich, aber entschieden“ argumentiert, Weidemann habe Tatschen verdreht und seine Verantwortung geleugnet, berichteten Zeugen. Danach hat sich der „Bischof“ nie wieder einer solchen Disputation gestellt.

Machtbesessen und skrupellos unterfütterte Weidemann sein Regiment mit seiner Personalpolitik: Wo immer in der BEK eine Pfarrstelle frei wurde, sorgte er dafür, dass sie mit einem seiner Gefolgsleute besetzt wurde, vielfach gegen den Willen der jeweiligen Gemeinde. Die Folge war ein ständiger Kleinkrieg, der oft genug zermürbend für die Vorstände war und ganze Gemeinden spaltete. Weidemann scheute nicht davor zurück, die Geheime Staatspolizei für seine Zwecke einzuspannen. Als Staatsrat für kirchliche Angelegenheiten konnte er sich auf die Rückendeckung durch den Bürgermeister Otto Heider verlassen, ebenso auf Unterstützung durch seinen ehemaligen Schulkameraden Hermann Muhs, der es zum Staatssekretär im Reichskirchenministerium gebracht hatte.

Nachdem es ihm nicht gelungen war, Reichsleiter der NS-nahen Deutschen Christen zu werden, gründete Weidemann eine eigene Gruppierung, die sich „Kommende Kirche“ nannte. Sie sollte eine „entjudete“ Kirche sein und Nationalsozialismus und Christentum vereinen. Er gab die großformatige Wochenzeitung gleichen Namens heraus, veranstaltete reichsweite Kirchentagungen, setzte eine DC-konforme Gesangbuchreform in Gang und gründete ein Bremer Studienhaus in Göttingen, in dem junge Theologiestudenten in seinem Geist gebildet werden sollten. Das alles bot Weidemann glanzvolle Auftrittsmöglichkeit als Bremer „Bischof“ – und verschlang viel Geld. Und das war eine Schwachstelle, an der ihn seine Gegner packen konnten. Dazu kam ein Verhältnis mit seiner Sekretärin, die er im Ehescheidungsverfahren zum Meineid gedrängt hatte.

Es war ein zähes Ringen, das 1941 zu Weidemanns Amtsenthebung wegen Veruntreuung von Kirchengeldern führte sowie 1944 zu seiner Verurteilung wegen Anstiftung zum Meineid. Die Strafe: zweieinhalb Jahre Zuchthaus und vier Jahre Ehrverlust. Ein Versuch, ihn durch die Charité in Berlin für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, war 1943 gescheitert: Eine Geisteskrankheit konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Der ärztliche Befund ergab eine schwere psychopathische Störung – die man heute vermutlich als narzisstische Persönlichkeitsstörung bezeichnen würde. Weidemann ging nach seiner Entlassung in die damalige DDR und wurde SED-Bürgermeister in Thüringen. Er starb 1976 in München.

* Bildmaterial wurde freundlicherweise von der Bremischen Evangelischen Kirche zur Verfügung gestellt.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 12. November 2020

Ein Hinweis zu “Heinrich Weidemann: NS-Bischof von Bremen”

  1. Rodolfo Bohnenberger sagt:

    Luthers ausgeprägter Judenhass und die Rückwirkungen auf die nationalsozialistische Judenverfolgung, an der nicht unerhebliche Teile der evangelischen Kirche (und ihrer Inneren Mission) 1933-45 aktiv beteiligt war, wird gerne ausgeblendet.
    Mit machtvoller Hilfe der Nationalsozialisten in Berlin wurde Pastor Weidemann zum Bremer Landesbischof 1933 ernannt. Weidemann (1895 als Sohn eines Seminaroberlehrers in Hannover geb.) war einst Freiwilliger im ersten Weltkrieg und studierte Theologie in Göttingen. Seine entscheidenden theologischen Einflüsse erhielt er von dem Kirchenhistoriker Karl Mirbt und dem Neutestamentler der literarkritischen Schule Walter Bauer, später vom jungen Barth. (vgl. Heinonen 1978)

    Weidemann übte sich als Hilfsprediger an der Göttinger St. Jacobi Kirche. Es ist von dort überliefert, dass er seine „priesterliche Tätigkeit mit dem Kruxifix in der einen und der Handgranate in der anderen aus[führte].“ (vgl. Heinonen 1978). Als Repräsentant der „Frontgeneration“ und Anhänger der sog. „Positiven“, oder „Orthodoxen“, war er prädestiniert, Bremer Gauobmann der sog. „Glaubensbewegung Deutscher Christen“ (abgekürzt DC) zu werden. Hitler hatte sich persönlich dafür eingesetzt, diese „evangelischen Nationalsozialisten“ so und nicht anders zu nennen (Vgl. auch f.d.ff. Heinonen 1978).

    Die öffentlich gefeierte Gründung der regionalen DC Gauorganisation erfolgte am 25. April 1933 im Bremer Casino, wegen der Überfülle noch auf die Rembertihallen erweitert. Thema der Versammlungen: „Nationale Revolution und Kirche.“ Es sprachen neben Senator Otto Heider und NSDAP Kreisleiter Paul Wegener:
    Paul Thyssen, 1904-31 Pastor an St. Stephani, 1932-35 Pastor in Wasserhorst,
    Hermann Rahm, 1925-34 in Hastedt, 1934-1950 (!) am St. Petri Dom, 1933 Mitglied im Kirchenausschuss, ab Juni 1934 Mitglied des Kirchentages der BEK),
    K. Kefer, 1911 Pastor in Rablinghausen, ab 1933 Kreisleiter der DC, 1934-1947 (!) Pastor an St. Martini) und
    Domprediger Pastor Lic. Dr. Heinz (Heinrich) Weidemann, seit 1926 Domprediger im St. Petri Dom, 1933 in die NSDAP eingetreten.
    Die sehr widersprüchliche Figur Weidemann fiel später in Ungnade und (Ironie der Geschichte) tauchte nach dem Krieg in der DDR unter und richtete sich als Bürgermeister eines kleinen Dorfes in der ehemaligen „Deutsche Christen“ Hochburg Thüringen ein.

    Literatur: Heinonen, Reijo E. (1978): Anpassung und Identität, Theologie und Kirchenpolitik der Bremer Deutschen Christen 1933-45, Vandenhoek und Ruprecht Verlag

    Die “Deutschen Christen” verfügten in Bremen vorübergehend über so großen Einfluss, dass sie große Teile der Pastoren/Gemeinden und ihrer diakonischen Arbeit in ihren theologischen und ideologischen Griff bringen konnten. Die Mehrheit der BEK (ihr Kirchenausschuß) lehnte zwar Weidemanns harten Kurs ab* , aber „glaubte, durch die Bejahung und die Zusammenarbeit mit dem [NS] Staat als Obrigkeit … zu der „religiös-sittlichen Erneuerung des Volkes“ beitragen zu können.“ (Zitiert aus Heinonen, 1978: 32)

    Weidemann und seine Mitstreiter unter der Bremer Pastorenschaft betonten die Bekenntnistreue und Verbundenheit der DC mit der Reformation und bezogen sich dabei (berechtigt oder nicht) auf das Denken des reformierten Theologen Barth als „anerkanntesten theologischen Lehrer der Gegenwart.“ Weidemann und die DC waren bekannt für ihre antijudaistische „Theologie“. Das „BEK-Forum“ Februar-Mai 2013 zitiert auf Seite 24 die Archivare des bremischen Kirchenarchives mit den bezeichnenden Worten: „Aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 sind leider viele Akten verschwunden, die man nach Kriegsende getilgt hat, um die Spuren der nazifreundlichen Deutschen Christen in Bremen zu verwischen.“

    „In Bremen wurde die ‚Ortsgesellschaft für Rassenhygiene‘ im Frühjahr 1925 vom Leiter der frauenärztlichen Abteilung des Diakonissenkrankenhauses in Gröpelingen, Prof. Dr. Kirstein, gegründet.“ [Ab 1.11.33 umbenannt in ‚Fachgesellschaft für Erbgutlehre und Erbgutpflege‘] „…ab 1933 [wurden] die Veranstaltungen in ihrer Programmatik konkreter … zu dem Thema: ‚Das Problem der Verhütung unwerten Lebens‘ […] Der ärztliche Verein, die Juristische Gesellschaft, der naturwissenschaftliche Verein sowie die Bremer Pastorengesellschaft unterstützten den Aufruf zu dieser Veranstaltungsreihe.“ (vgl. Krenz, Eva; Kaulfuß, Jürgen; Pot D´Or, Jonas, „Der arische Holocaust – NS-Jugendhilfe zwischen Auslese und Ausmerzung“, Diplomarbeit Uni Bremen, 1984, S. 182)
    Auf von Fürsorgemaßnahmen betroffene Bremer Kinder und Jugendliche hatte diese Entwicklung folgenreiche Auswirkungen. Um die lebensgefährlichen Konsequenzen für Fürsorgezöglinge anzudeuten, sei hier eine Meldung des Heimleiters (1933-1938) des Waisenhauses St. Petri Johann Klüsing an das Jugendamt vom November 1937 zitiert:

    „Nach der Verordnung des Reichserziehungsministers wegen des Besuches deutscher Schulen durch jüdische Kinder, machen wir auf Christian aufmerksam, der doch jedenfalls als Jude anzusehen ist, da er doch von mindestens 3 der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammen wird. Über den letzten Punkt hätten wir gern Nachricht vom Jugendamt, da wir uns danach mit dem Schulbesuch des Jungen einzurichten haben. Sollte der Junge Jude in dem Sinne sein, wollen wir ihn auch nicht als Zögling behalten. Wir bitten um baldige Nachricht.“ (Chronik St. Petri)
    Georg Rehse, Rektor der während der Nazizeit für seinen besonders rigiden (für einige Jungen auch tödlichen) Erziehungsstil bekannten Fürsorge-Anstalt „Ellenerhof“ (s.u.), war laut einer am 07.10.1933 erfolgten Überprüfung über die „Erziehung der Kinder im nationalsozialistischen Sinne“ Mitglied in der Glaubensgemeinschaft „Deutscher Christen“ und gehörte dem Kirchenvorstand der Gemeinde Oberneuland an. Über eine Aufarbeitung dieser Vorstandstätigkeit in der evangelischen Gemeinde Oberneuland ist nichts bekannt.

    * Die BEK hebt gerne die Minderheit der Bremer Theologen hervor, die – teilweise persönliche Konsequenzen nicht scheuend – in vielfältiger Weise Widerstand praktizierten; acht gehörten der Bekennenden Kirche an.

    Weitere Literaturempfehlungen und Bremer Quellen:
    Heinonen, Reijo E. (1978): „Anpassung und Identität, Theologie und Kirchenpolitik der Bremer Deutschen Christen 1933-45“; Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
    Horn, Detlev von (2013): Die Dankeskirche in Sebaldsbrück – Im Schatten der braunen Vergangenheit, Geschichtskreis Sebaldsbrück
    Jung, Reinhard (Hrsg.) (1984): „Wir sind in die irre gegangen“ – Evangelische Kirche und Politik in Bremen 1933 bis 1945, Kuratorium des Bildungswerkes evangelischer Kirchen im Lande Bremen
    Krampitz, Karsten (2017): „Jedermann sei untertan“: Deutscher Protestantismus im 20. Jahrhundert. Irrwege und Umwege. Alibri Taschenbuch, Aschaffenburg

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