März 1943: Die Deportationen der Sinti und Roma

Das Bild zeigt die Gedenktafel beim Kulturzentrum Schlachthof
Gedenktafel am Kulturzentrum Schlachthof
Wilhelm-Mündtrath_Staatsarchiv-Bremen
Schlachthof mit Weg zum Deportationszug
Schlachthof mit Weg zum Deportationszug
8. März 1943
Findorffstraße 51 (Kulturzentrum Schlachthof), Bremen-Findorff

Mit Himmlers „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 begann die Endphase des Völkermordes an den Sinti und Roma. Allein im Bereich der Bremer Kriminalpolizeileitstelle wurden mind. 269 Sinti und Roma, darunter viele Kinder, eingesperrt. Die Sammelstelle für die Deportation der Sinti und Roma befand sich auf dem Areal des damaligen Schlachthofs, direkt hinter dem Hauptbahnhof. Der erste Transport verließ Bremen am 9. März 1943. Ziel war das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, wo sie in dem sog. „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau B IIe untergebracht wurden. Hier wurden sie zu Zwangsarbeit verpflichtet, waren sie „medizinischen“ Experimenten ausgesetzt und letztendlich wurden sie dort in den Tod getrieben.

Am 8. März 1943 wurden für drei Tage Sinti und Roma aus dem Bremer Kripoleitstellengebiet auf dem Bremer Schlachthof in der Nähe des Hauptbahnhofs interniert und in drei Transporten in das so genannte „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Sinto Rudolf Schmidt beschreibt diesen Tag:

„Der 8. März 1943, ein Tag, den ich wohl niemals in meinem Leben vergessen kann; ich habe ihn verflucht, weil er der Anfang hässlichster Erlebnisse, niederschmetternder Erkenntnisse und unsagbarer Seelenpein für mich war. An diesem Tag, etwa gegen 7 Uhr morgens, wurde meiner Mutter, eine/meiner Schwestern mit ihren beiden Kindern, und ich selbst aus unserer Wohnung [in der Neustadt] heraus von uniformierten und mit Karabiner bewaffneten Polizeibeamten verhaftet und zu der Polizeiwache in der Westerstraße gebracht. Während der Verhaftung erschien mein Onkel zusammen mit seiner Frau bei uns, die dann gleichfalls mitgenommen wurden. Auf der Wache wurden wir registriert und bei dieser Gelegenheit auch unser persönliches Eigentum, sowie Bargeld dort in Verwahrung genommen. Im Laufe der Stunden trafen weitere festgenommene Zigeuner an der Wache ein, so dass schließlich ca. 20 bis 30 Personen dort versammelt waren. Danach wurden wir unter Bewachung zu Fuß zum Schlachthof gebracht und fanden dort zunächst ein Unterkommen in einer leerstehenden Viehhalle. Bei unserem Eintreffen im Schlachthof war Mündtrath schon dort anwesend. In einem gesonderten Raum wurden wir dann nochmals registriert, wobei Herr Mündtrath seine Zigeunerunterlagen bei sich hatte. Ich selbst verblieb zwei Nächte im Schlachthof und wurde dann einem Transport zugeteilt zusammen mit meinen Angehörigen und einigen Verwandten, der dann am 10.3.1943 in Marsch gesetzt wurde. Der erste größere Transport ging schon am 9.3.1943 ab. Insgesamt können wir etwa 180 bis 200 Personen gewesen sein. Mein Transport bestand aus ca. 60 bis 70 Personen.
Am 10.3.1943 mussten wir in den Morgenstunden auf dem Hauptbahnhof in Bremen einen Sonderzug besteigen. Dieser Zug bestand aus mehreren Personenwagen. Als Transportbegleiter fungierte Mündtrath. Außerdem fuhr ein Begleitkommando mit, bestehend aus mehreren bewaffneten Polizeibeamten.
Nach mehreren Tagen Fahrt, gelangten wir zum KL. Auschwitz und wurden in der Nähe des Lagers auf einem Nebengleis ausgeladen. Von dort aus mussten wir dann zu Fuß den Marsch nach Birkenau, der zum größten Teil für uns ein Marsch in die Vernichtung wurde, antreten.“

Nach gegenwärtigem Stand (März 2023) überlebten von den mind. 269 vom Bremer Schlachthof aus deportierten Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland lediglich 86 Menschen. Unter ihnen Rosa Braun, die am 5. Oktober 1943 in dem „Zigeunerfamilienlager“ geboren worden war.

Am heutigen Kulturzentrum Schlachthof erinnert seit März 1995 eine von Arbeiternehmer/innen der Bremer Stahlwerke (jetzt Arcelor-Mittal Konzern) erstellte und vom Bremer Sinti-Verein initiierte Gedenkplatte an die Deportationen (siehe Bild).

Seit September 2022 ist der Platz am Kulturzentrum in „Familie-Schwarz-Platz“ umbenannt worden. Er erinnert an eine Bremer Sinti-Familie, die von hier nach Auschwitz deportiert wurde.

Dr. Hans Hesse

Literatur:
Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 39–42.

Quellen: Staatsarchiv Bremen 4, 89/3 – 710, Ermittlungsverfahren gegen Wilhelm Mündtrath, Aussage Rudolf Schmidt v. 19.5.1961, Bl. 6–8.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 5. Mai 2023

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